OISEAUX-TEMPÊTE: From Somewhere Invisible

Wahrscheinlich können die französischen Sturmvögel, die zugleich passionierte Zugvögel sind, gar nicht anders als episch sein, doch im Vergleich zu den Vorgängeralben, die als großangelegte Konzeptwerke jeweils eine Reise ins östliche Mittelmeergebiet in Poesie und doomig angefolkten Postrock gossen, ist das in einem vagen, unsichtbaren Setting angesiedelte “From Somewhere Invisible”, das erneut mit einer Reihe an prominenten Gästen eingespielt wurde, doch um ein paar Stufen kompakter. Dafür wurde ein Aspekt, der bislang eher wie ein kommentierender Bonus kurz vor Ende der Alben auftauchte, ins Zentrum des Geschehens gerückt.

Dieser Bonus, das ist der ernste Textvortrag von The Ex-Vokalist G.W. Sok, dessen Pathos immer durch seine abgeklärte Nüchternheit gewinnt, und der die Verse ausgewählter Dichter mit einem mahnenden Ton vorbringt, der an eine Predigt erinnert, aber ohne salbungsvollen Schwulst auskommt. Auf “From Somewhere Invisible” sind drei lange Tracks (und so zirka die Hälfte des Albums) um seine Worte gebaut, gleich im eröffnenden “He is Afraid and so am I” lässt er in der analytischen Prosa des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish eine Begegnung zwischen Fremden in all ihrem kleinen misstrauischen Abtasten lebendig werden – vor einer theatralischen Kulisse brummenden Feedbacks und schleppenden Beckenspiels, das sich wie ein erschöpftes Tier von Tusch zu Tusch hangelt.

“We, who are Strewn About in Fragments “, das in sanft summender Dröhnung beginnt, in die ein hoher Ton, der einer Gitarre, aber auch einem Saxophon entstammen könnte, feine Muster malt, basiert auf einem Text von Ghayath Almadhoun. Hier entschuldigt sich ein Fremdkörper für seine Präsenz in einer friedvoll abgeschotten Welt, und Soks eindringliche Stimme und die verzerrt-verspielten Figuren der Gitarre lassen das Gedicht wie einen Endzeitwestern anmuten, bei dem einem freisteht, wie politisch man ihn interpretieren mag. Jessica Moss’ ornamentales Geigenspiel, dreckige Gitarren und tänzelnde Jazzdrums geben dem auf einem Text von Yu Jian basierenden “The Naming of a Crow” trotz zwiespältiger Momente einen friedlichen Touch.

Natürlich sind auch die vier nahezu instrumental gehaltenen Stücke, die den Rest des Albums ausfüllen, keineswegs nur Zwischenspiele. “In Crooked Flight on the Slopes of the Sky” entpuppt sich als berührend melodisches Ambientstück auf einem Fundament aus verrauschtem Droneschmand. Dagegen ist das Doppelstück “Weird Dancing in All Night” ein echter dramatischer Höhepunkt: Sirenenhafte Gitarren durchdringen mit einer orientalischen Melodie hektisches Stimmegewirr, rituelles Rasseln und bedrohliche Explosionen steigern die Erwartung und leiten über in einen dumpfen Takt, über dem ein klagendes Saxophon alles eskalieren lässt.

Auf den ersten Eindruck mag man die Platte als Versuch einer gelungenen Resteverwertung betrachten, weil nicht schon auf den ersten Blick ein klares Konzept erkennbar ist, aber das hiese letztlich, die thematische Stringenz der Vorgänger absolut zu setzen und als einzigen Maßstab gelten zu lassen. Was “From Somewhere Invisible” zu einem vollwertigen Album macht (und so auch von einer Sammlung wie “Unworks & Rarities” unterscheidet) ist mehr noch als das eindringliche Charisma der Stücke ihre in Stimmung und Instrumentierung deutlich aufscheinende Verbundenheit.

Label: Sub Rosa / Differ-ant