DAVID TIBET: Ferelith / Fontelautus

Als in der Prä-Coronazeit, die sich inzwischen Äonen entfernt anfühlt, David Tibet zwei (von insgesamt fünf) Soloalben ankündigte, da war man schon etwas erstaunt, denn zum einen ist jedes Projekt, an dem Tibet beteiligt ist, durch seinen Vortrag, seine Texte und Konzepte enorm stark von ihm geprägt, zum anderen benötigte er von Anfang an immer (musikalische) Partner, um seine Visionen klanglich umzusetzen. Das war zu Beginn, als die Stücke oft „a side long“ waren, wie es in den Linernotes einer frühen Compilation hieß, Steven Stapleton (eine Rolle, die in den letzten Jahren von Andrew Liles übernommen worden ist) und später dann die Reigen der Gitarristen, Pianisten etc., am konstantesten wohl in den 90ern Michael Cashmore, von dem im nächsten Monat ebenfalls ein Soloalbum bei House of Mythology erscheinen wird.

Es ist es durchaus sinnvoll, die beiden Alben gemeinsam zu besprechen, denn sowohl ästhetisch als auch musikalisch haben die beiden viel gemeinsam, sind insofern Zwillnge.

Ursprünglich erschienen „Ferelith“ und „Fontelatus“ 2020 auf Tibets eigenem kleinen Label Cashen’s Gap in je zwei limitierten Fassungen: Insgesamt wurden von jedem Album 170 Kopien veröffentlicht. Nun kommen die Alben bei House of Mythology als Vinyl und CD (und leicht verändertem Artwork) neu heraus.

Für Tibet war(en) Sprache(n) enorm wichtig, seine Beschäftigung mit alten und/oder untergegangen Sprachen wie dem Koptischen, Sumerischen oder Akkadischen prägten die Alben der letzten Jahre, in seinen Texte, die immer umfangreicher wurden, gab es immer wieder Verweise auf „grammar“, auf den Logos und insofern erstaunt es um so mehr, dass die beiden Soloalben fast komplett instrumental sind, zumindest Tibets Stimme absent ist. Sucht man Anknüpfungs- und Referenzpunkte bei den Current 93-Arbeiten der letzten Jahren, dann vielleicht noch am ehesten bei den weniger songorientierten Alben, wie z.B. der letzten Veröffentlichung „If A Star Turns Into Ashes“. Infomationen, wer außer Tibet noch beteiligt war, fehlen, aber offensichtlich wurde er von Andrew Liles unterstützt.

Das Artwork mit seinen verschwimmenden und sich im Äther auflösenden Figuren und einem Ektoplasma ausströmenden Tibet geben einen guten Hinweis auf die geisterhafte, somnambule Atmosphäre, die die jeweils zwei Stücke, „there is no Side A and no Side B—both sides are Side A and both sides are also Side B“, durchziehen. „Ferelith“ verweist (wahrscheinlich) auf gleichnamigen (Schauer-)Roman von Lord Kilmarnock, dem Mark Valentine attestierte „one of the strange great visions in the library of the Gothic“ zu sein und in dem es um die Liebe zu einem Geist geht. Man hört geisterhaft-entrückte Stimmen, denen ein Moment des Sakralen innewohnt, vielleicht läuten irgendwo im Nebel Glocken. Das ist nicht notwendig düstere Musik, aber sie ist kaum greifbar. Das andere Stück wird von einem an- und abschwellenden Melodieloop durchzogen. Der Name „Fontelantus“ entstammt eventuell Jonas Dennis’  Subversion of Materialism, by Credible Attestation of Supernatural Occurrences. Hier findet man ähnlich flächige Sounds, kristallin und verschwommen, irgendwo meint man eine Geige zu hören und von der Stimmung ist das nicht ganz so weit entfernt von dem letzten Album William Basinskis. Ansonsten fallen einem The Caretaker ein, Begriffe wie Hauntology. Vielleicht ist das Ektoplasma-Musik, gechannelt aus dem Zwischenreich von Leben und Tod und bei der die Erzeuger abwesend zu sein scheinen. Musik, die in Anlehnung an Mark Fishers Studie The Weird And The Eerie insofern tatsächlich „eerie“ ist. (MG)

Label: House Of Mythology