CURRENT 93: If A City Is Set Upon A Hill

Das neue Current 93-Album verweist mit dem auf den ersten Blick untypischen Fliesen-Artwork, auf denen der Mord Kains an Abel dargestellt ist, auf Current 93s „Rockalbum“ „Aleph At Hallucinatory Mountain“, auf dem es hieß: „In the beginning was the murderer“. Musikalisch-personell knüpft es stark an das 2018 erschienene Album „The Light Is Leaving Us All“ an, wurde „If A City Is Set Upon A Hill“ doch in fast der gleichen Besetzung aufgenommen – im direkten Vergleich ist „If A City“ vielleicht etwas elegischer und mit seinen sieben Stücken und 37 Minuten Laufzeit recht kurz, dabei allerdings nicht weniger gehaltvoll.

Schaut man in die Entwicklung Current 93s, dann ist es sicher kein Zufall, dass viele der als Referenzwerke gesehenen Alben aus den 90ern, die nicht unerheblich zum Kultstatus des Projekts um David Tibet beigetragen haben, durch eine relativ stabile Kernbesetzung eingespielt wurden und darüberhinaus eine Vielzahl starker – solch ein Begriff mag bezogen auf Current 93 vielleicht etwas profan anmuten – Songs enthielten. Die Qualität der einzelnen Stücke trug dann auch sicher nicht unerheblich dazu bei, dass das 2018 erschienene „The Light Is Leaving Us All“ das vielleicht stärkste Album seit “Black Ships Ate The Sky” war.

Seit “The Light…”  erschienen die weitgehend instrumentalen, von Soundscapes durchzogenen Alben „Invocations Of Almost“, „If A Star Turns Into Ashes“ sowie die beiden Soloalben Tibets („Ferelith“ und „Fontelautus“), die in ihrer somnambulen (Alp-)Traumatmosphäre und atmosphärischen Dichte zumindest zum Teil an das Verstörende und Irritierende des Frühwerks anknüpften.

Das schon vorab veröffentlichte das Album eröffnende „If A City…“ legt den Ton, die Stimmung fest: Im Zusammenspiel von Drones, Klavier und Geige entsteht ein elegisch-melancholisches Stück und Tibet, der hier – wie schon auf seinen Soloalben – nur noch unter seinem Vornamen firmiert, intoniert: „If under G+D’s Wing/By the JawBone and HeeHaw/The donkey creeps silently/Through the door in the hall/Then plague and mice/And the woodlice stream…“. Wenn man einem Instrument eine tragende und zentrale Rolle zusprechen will, so dann sicher der von Aloma Ruis Boada gespielten Geige, die das gesamte Album prägt. Auf „There Is No Zodiac“ setzt der dezente Einsatz von E-Gitarre leicht dissonate Akzente. Auf dem dann folgenden „Joke Moon“ gibt es ein fantastisches Zusammenspiel von Alisdair Roberts wunderschön gezupfter Gitarre und der Violine. Auch auf „A Column Of Dust“ erzeugen Gitarre und Geige und der dramatische Gesang Tibets eine beeindruckende Atmosphäre – man möchte dem von ihm besungenen “Final Express Train” nicht unbedingt begegnen. „The Child, And Fire” erinnert mit seinen Pianopassagen entfernt an „Soft Black Stars“.

Textlich finden sich die thematischen Obsessionen, die das Werk Current 93s seit Jahr(zehnt)en prägen: Apokalyptische Szenarien werden entworfen: „It it rains razors, and murders, and slaughters“, „The Moon is dead now—Joke Moon!“, „A castle or Moloch“, „And the noise in your eyes/Has the rumours of wings/And the fly and the hornet/From the Scorpion RainBow“, „In the walls the colourful cartoons/Are covered with sores“), das Zusammenspiel von Profanem und Erhabenem („In time for tea, in time for end“), Nursery Rhymes („By the butcher, and the baker, /And the candlestick maker“, “Just memories stretched out/From nursery rhymes or spectres”), (der) Gott in all seiner Ambivalenz: „Vengence in His Eye/I AM THE LORD! – THE KILLER AND THE CREATOR“.

Muss man beim Titel des Albums vielleicht unweigerlich an die von John Winthrops aus der Bergpredigt (“You are the light of the world. A city set on a hill cannot be hidden“) entlehnte Fortmulierung denken, der so eine zentrale Rolle beim Selbstverständnis der amerikanischen Nation zukommt, denken, erfährt man im Booklet, dass die Inspiration für das Album ein akkadischer Text namens „If A City Is Set Upon A Height“ ist. Passenderweise dankt Tibet im Booklet seinen Hebräisch-, Akkadisch-, Koptisch- und Ugaritischlehrern, erneut sein Interesse an (ur-)alten Sprachen, am logos betonend, der ja “im Anfang” war.

Letztlich ist es so erfreulich wie erstaunlich, dass nach dem fast 40-jährigen Bestehen Current 93s, “your favourite hallucinatory skipping-rope”, wie es auf dem Albumcover heißt, noch immer Alben entstehen, die beeindrucken können und beeindruckend sind und ein Spätwerk einläuten, das viel verspricht. (MG)

Label: House Of Mythology