ALOMA RUIZ BOADA: Septem Verba

Ernste, feierliche Glocken begleiten einen Lichtstrahl, der durch einen großen abgedunkelten Raum dringt und auf eine breite Leinwand trifft. Eine Violine zieht lange Striche über diese Leinwand, Striche, die sich nach einiger Zeit in eine unbestimmte Weite auflösen. Dass diese Weite, diese Transzendenz nichts Unsicheres hat, unterstreichen schon bald die liturgischen Gesänge, die wie ein letzter fehlender Teil in die Szenerie montiert worden sind und ein Gefühl von Geborgenheit entstehen lassen.

Alles in dieser Musik strebt nach oben, selbst wenn das monotone Pulsieren einsetzt, welches das Motiv der Glocken wieder aufgreift. Das vielleicht zentrale Moment, das reine Gefühl, bricht sich am Ende Bahn durch die einfachen melodischen Ornamente auf den höheren Seiten der Violine. In diesem merkwürdigen Zwischenbereich bewegt sich das erste Stück auf Aloma Ruiz Boadas Album “Septem Verba”. Sein Titel “Eloi, Eloi, lama sabactani?” (dt: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?”) entstammt dem Markus-Evangelium des Neuen Testaments und führt mitten in einen der dramatischsten und zugleich rätselhaftesten Stoffe der Religionsgeschichte, die Kreuzigung Christi und die letzten Worte des Erlösers.

“Septem Verba” ist das auf Violine und Elektronik basierende Solodebüt der katalanischen Geigerin und Komponistin Aloma Ruiz Boada, die in ihrer Heimatregion um Barcelona bereits seit Jahren als Theatermusikerin von sich reden macht und auch schon in einigen lokalen Bands – u.a. Ô Paradis und Comando Suzie – zu hören war, und die einem internationalen Publikum sicher seit einigen Jahren als Mitglied von Current 93 bekannt ist. Gerade dem jüngsten Album “If a City Is Set Upon A Hill” hat sie mit ihren wehmütigen Violinparts auch ihren eigenen Stempel aufgedrückt. “Septem Verba” ist ein zyklisch aufgebautes Werk, das sich, wenn man nach den Titeln geht, ganz den letzten Worten des gekreuzigten Christus widmet, wie sie in den drei synoptischen Evangelien und v.a. bei Lukas festgehalten werden, und auch der Gesang im Opener entstammt mit “Vexilla Regis” einem Choral mit Passionsbezug. Es ist ein emotional ungemein berührendes Werk geworden, dessen zum Teil recht unterschiedliche Tracks dem Hörer keinen Leerlauf gönnen.

Es mag eine ganze Weile dauern, bis man “Septem Verba” so weit verarbeitet hat, dass man über so etwas wie einen stimmungsmäßigen roten Faden sprechen kann. Eine gewisse Emporgehobenheit fast aller Stücke offenbart sich allerdings schon früh. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich um getragene Komponenten handelt, wie das kurz vor dem Finale für Besinnung und Dramatik gleichsam sorgende “Consummatum est” mit seinem berührenden Solo, oder um pulsierende, hypnotische Stücke wie “Mulier ecce filius tuus, ecce mater”, bei dem das Verhältnis zwischen elektronischer Bearbeitung und akustischen Violinparts zunächst zugunsten der Elektronik auszufallen scheint. In einem Setting knapp über dem Erdboden bringt eine Geigenmelodie wieder reines Gegühl ins Spiel, und wie bei klassischer Minimal Music kommen immer wieder neue perkursive Details und Streichermotive hinzu. Es scheinen die wunderschönen melodischen Ornamente zu sein, die dem Stück die dornengespickte Krone aufsetzen. Ähnliches kann man von “Sitio” sagen, zumindest vordergründig, aber hier überraschen beinahe abrupte Wendungen in Gangart, Melodie und Klangfarben. Letztlich nimmt das nicht Wunder, denn bereits die Arie aus Camille Saint-Saëns’ Oper Samson und Delilah, die zu Beginn als verwehtes Sample zu hören ist, gibt dem Song eine breite Polysemie.

Nach “Amen dico tibi hodie mecum eris in paradiso”, das in ruhiger Spannung das Glockenmotiv des Anfangs wieder aufgreift und in seiner wartenden Struktur einiges an Aufruhr und Dramatik zulässt, beginnt mit “Pater dimitte illis, non enim sciunt, quid faciunt” das vielleicht ungewöhnlichste Stück. Sicher nicht ganz ohne den Einfluss des an der Aufnahme beteiligten Demian Recio beginnt das Stück fast wie Elektro Clash und entpuppt sich als kompaktes, poppig-treibendes Stück, das wie eine Klang gewordene Bereitschaft mit gelassenem Mut durch gefahrvolle Stationen braust, bis zur rauen Klimax eines elektrifizierten Geigensolo. Das finale “Pater in manus tuas commendo spiritum meum” (dt: “Vater in deine Hände, ich empfehle meinen Geist”) ist einigen sicher schon von der letztjährigen Single-Auskopplung bekannt. Hier scheint die ganze Vielfalt aus Andächtigkeit und Aufruhr noch einmal komprimiert zu sein.

Man könnte viel zu “Septem Verba” sagen: Man könnte seine beeindruckende Tiefe gerade bei einem Debüt hervorheben, die Frage nach einer traumartigen Struktur stellen, Vergleiche zu einigen Arbeiten Max Richters ziehen oder einen theologischen Diskurs bemühen. “Septem Verba” allerdings ist ein Werk, das zum pathosfreien Schweigen einläd, und nur so kann man es immer wieder neu erkunden und entdecken. (U.S.)