SENYAWA / LAWRENCE ENGLISH / AVIVA ENDEAN / PETER KNIGHT / HELEN SVOBODA / JOE TALIA: The Prey and The Rulers

Die Geschichte der kreativen Freundschaft von Lawrence English und dem Duo Senyawa bietet Stoff für eine umfangreiche Erzählung. Vor gut zehn Jahren trafen sich die Musiker zum ersten Mal auf dem MonaFoma-Festival im australischen Hobart, wo der aus Queensland stammende English die aus dem Nachbarland Indonesien stammende Band auf der Bühne sah und merklich beeindruckt war.

Es dauerte bis in die Jahre der Pandemie, dass die Musiker gemeinsame Ideen entwickelten. Lawrence und sein Freund Peter Knight – seines Zeichens Trompeter und Tape-Musiker – kontaktierten die Senyawa-Masterminds Rully und Wukir, zuerst v.a., um sich über die Lage im Nachbarland zu erkundigen. Bald jedoch brachte der Austausch interessante Ideen zutage, in denen es sich u.a. um eine Reihe von mit Rully und Wukir bekannten Instrumentenbuern handelte, die – wie einige handyvideos zeigten – aus ungewöhnlichen Materialien, die nicht selten aus fast beliebig erscheinenden Abfallgegenständen, ungewöhnliche Klangerzeuger herstellten. Auch um diesen von den Umständen des Jahres 2021 besonders in Mitleidenschaft gezogenen Künstlern eine Unterstützung zukommen zu lassen, beschlossen die mittlerweile vier Musiker, aus den Sounds dieser Geräte eine neue Musik zu komponieren. Von Lawrence’ Seite kamen noch Helen Svoboda (Stimme und Kontrabass), Joe Talia (Drums) und Aviva Endean (Flöte und Klarinette) hinzu, und bald erwuchs aus dem mehrfach hin und hergeschickten und immer wieder ergänzten Material das vorliegende Album, auf dem Senyawa und English als Einheit den Nukleus bilden.

Es wäre sicher eine Herausforderung, ohne Hintergrundwissen eine Vermutung über die verwendeten Klangquellen anzustellen. Der Opening Track “Mangsa dan Penguasa (The Prey and The Rulers)” startet als dunkle, undefinierbare Dröhnung, aus deren Rumoren bald schwerer Atem an die Oberfläche dringt, so mühsam, als wäre die Luft eine Last. Trotz des Leibvollen schwingt auch etwas Monströses mit, das sich bald in bedrohlichem Raubtierknurren bestätigt, während ein infernalischer Wind, der sich im Verlauf als eines der leitmotive erweisen wird, über die Klanglandschaft braust. Heulende Wölfe, folklastig anmutende Melodiefragmente, diffuse menschliche Stimmen und einiges mehr, lassen hier eine ahnungslose Zwiespältigkeit aufkommen, die immer die Aussicht auf Relief enthalten mag,aber niemals zu viel verspricht.

Die beiden kürzeren Tracks “Perburuan (The Hunt)” und “Perjamuan (The Supper)” lassen zunächst Spannung – nervöse Percussion vor seltsam ziehenden Sounds verweigern eine Eskalation, die sich stets in Aussicht stellen – und danach Hypnotik – fast grooviges maschinelles Knarren, das nur Swobodas Säuseln im Wind zu besänftigen weiß – walten. Das lange, finale “Memangsa Penguasa (The Prey on Rulers)” greift wieder beinahe zyklisch auf den Opener zurück und startet mit einem trockenen Wind, der in der einen oder anderen Art dem ganzen Stück die Bewegung vorgibt. Dieser Wind lässt zahlreiche Details vorbeiwehen: leises Knacken, Gesänge solo und im Chor, Beckensäuseln und ein hechelnder Takt, klingelnde Glöckchen, Zittern und Bibbern und plötzlich ein einsamer Donnerschlag. Doch auch wenn die Musik sich zwischendrin immer mal in die Systole leiserer Gefilde zurückzieht, ist eine Steigerung kaum zu überhören, wenn man sich irgendwann in einer aggressiven Kundgebung wiederfindet und ein infernalisches Rauschen bis fast zum gemurmelten Schlusstel die Oberhand behält.

Dieses Finale demonstriert eine Offenheit, die hoffnungsvoll stimmt auf weitere Ideen, gleichwohl die Stimmung hier so endzeitlich anmutet wie das Lebensgefühl, dass die Menschen in vielen Regionen vor noch nicht allzu langer Zeit für eine Weile beschlich. (U.S.)

Label: Room40