MONA MUR: The Original Band (1984 – 86)

Bevor die Sängerin Mona Mur 1988 mit ihrem selbstbetitelten Album ihre Solokarriere startete, konnte sie bereits auf mehr als ein halbes Jahrzehnt turbulenter Aktivitäten in Hamburg, Berlin und Paris zurückblicken, und einige kennen natürlich die unter dem Bandnamen Mona Mur und die Mieter erschienene EP “Jeszcze Polska” von 1982, an der unter anderem die Herren Hacke, Einheit und Chung für die ansprechende musikalische Postpunk-Kulisse sorgten. Die Jahre Mitte der 80er scheinen dagegen zumindest aus heutiger Sicht in ein merkwürdiges Dunkel getaucht, denn obgleich es in dieser Zeit Konzerte gab, erschienen über Jahre keine Studioaufnahmen auf Tonträger.

Aufnahmen gab es aber durchaus. Zumindest acht Stücke nahm Mona Mur damals auf mit einem Line-Up, das sich hören lassen konnte: Siewert Johannsen und Alexander Hacke an den Gitarren, FM Einheit am Schlagwerk, Thomas Stern am Bass und Nikko Weidemann (heute aktiv mit dem Moka Efti Orchestra) an Keyboard und Orgel. Die Songs aus dieser Ära avancierten über die Jahre zu wichtigen Bestandteilen ihrer Karriere und erschienen in neuen Versionen auf späteren Veröffentlichungen, in der Mehrheit auf dem 2009 zusammen mit En Esch aufgenommenen Album “120 Tage – The Fine Art of Beauty & Violence” (Pale Music). Die ursprünglichen Fassungen jedoch wurden, trotz einiger Angebote, beinahe vier Jahrzehnte lang nicht veröffentlicht – ein Desiderat, dem Play Loud! Productions nun entgegenwirken.

Roher, rauer, zugleich aber auch luftiger und minimaler als die üppigen Produktionen des späteren Albums offenbaren sich die Urversionen der Stücke, und auch wenn es Geschmackssache sein mag, erscheint mit dieses Soundgewandt noch besser zu der mal lasziven, mal aggressiven, aber stets intensiven Stimme der Protagonistin zu passen, die der Musikexpress seinerzeit als “tief, bedrohlich, erotisch fordernd, kühl und berührend” charakterisiert hatte. Von trunkener Erschöpftheit und zugleich ungemein spannend entpuppt sich der Klassiker “Surabaya Johnny”, dessen Lament über die Unzuverlässigkeit eines flatterhaften Burschen Mona und ihre Band mit müden Vocals, kreischenden Gitarren und einem fast no wave-artigen Rhythmus einen ganz eigenen Fatalismus verleihen. Dieser Song taucht später in leicht überarbeiteter Version auf ihrem Solo-Debüt auf und ist hier keineswegs die einzige Interpretation von Brecht / Weill-Liedern: Die kurze, hier mit bedächtigem Orgelauftakt beginnende “Ballade vom ertrunkenen Mädchen” mit seiner leidenschaftlich gehauchten Chansonmelodie, die einst Lotte Lenya auf den Leib geschrieben wurde, steigert sich in kurzer Zeit zu einem zornigen Wutausbruch und verzichtet noch auf die tanzbare Rhythmik, die späteren Interpretationen zugrunde lag. Fast heroisch in seinem Vertrauen auf eine Liebe, die nicht an die Zeit gebunden ist, erscheint der mit punkigen Shouts, hämmernden Drums und fast sakral anmutenden Orgelparts kraftvoll in Szene gesetzte “Song von Mandelay”. Jemand bezeichente ihre Songs einmal als brutale Chansons, wofür dieses Stück vielleicht das beste Beispiel ist.

Schon in diesen frühen Versionen zeigt sich Mona Murs gutes Händchen für Stimmung und Theatralik, und man kann sie sich gut als Hauptfigur und zugleich Regisseurin vorstellen, die ihre Begleitmusiker, die allesamt nicht als fügsam ausführende Geister bekannt sind, im Interesse dieser Stimmungen ausrichtet. Das kann dann im Resultat spannungsgeladen ausfallen wie der von pochenden, paukenden und federnden Rhythmen getragene de Sade-Seufzer “120 Tage” oder charmant-verspielt wie der Jahrmarktswalzer “Mon Amour”. Dieses französische Lebensgefühl, dass die Sängerin immer wieder in späteren Songs aufgriff und nicht ohne die gebührenden Abgründe inszenierte, lag ihr seit eh und je. Mit ihrer ungekünstelt heiseren Stimme, die einem “das Blut rückwärts fließen lässt” (Bewegungsmelder Zürich) würde sie in diesem Stück noch heute eine perfekte Duettpartnerin für Marc Almond abgeben. Meine Favoriten sind die dreckigeren Stücke wie “Snake” und das schon mit den Mietern aufgenommene “Eintagsfliegen”: Nirgendwo tritt die Sängerin derart als Femme Fatale auf als in “Snake”, das sich nach einem fiesen Intro von Hacke ordentlich groovig auf leisen Sohlen anschleicht und einen fast urtümlichen Blues-Vibe entfaltet, “Eintagsfliegen” dagegen zeigt Mona und ihre Band von ihrer zerfleddertsten Seite – fast erinnern die schleifenden Feedback-Sounds, die hintergründigen Bläser, die scheinbar orientierungslosen Handdrums und die heiser vorgebrachte Prosa in ihrer implodierenden Schönheit an die Situation der kurzlebigen Fliegen und der Schweine auf der Schlachtbank, die im Text beschworen wird.

In ihrem neu abgemischten Sound sind diese urtümlichen Versionen keineswegs nur historisch intetessant, gleichwohl man sich wundern mag, dass sie so lange unter Verschluss gehalten wurden. Play Loud!, die übrigens einiges an Hintergrundinformationen zu Geschichte der Aufnahmen gesammelt haben, hat zeitgleich zur vorliegenden LP noch zwei weitere Raritäten der Sängerin herausgebracht, nämlich eine Live-Aufnahme m.o.w. der gleichen Stücke, die 1985 in der Hamburger NDR Studios gemacht wurde, sowie ein Live-Set mit einigen der Songs von 2005. Noch ist einiges davon erhältlich! (U.S.)

Label: Play Loud! Productions