Das 1985 mit einem mehr als soliden Line-up (neben David Tibet waren das Bee, Diana Rogerson, Hilmar Örn Hilmarsson, Keiko Yoshida, Rose McDowall und Ruby Wallis, wobei man v.a. Stephen Stapletons finaler Abmischung Respekt zollen muss) aufgenomme und als Picture Disc auf United Dairies veröffentlichte “In Menstrual Night” nahm im Frühwerk von Current 93 insofern eine Sonderstellung ein, dass es auf die harschen Lärmelenente, die auf “Nature Unveiled” oder “Dogs Blood Rising” zu hören sind, weitgehend verzichtet und seinen hörspielhaften Kollagen-Charakter auf subtilere Weise offenbart. Dabei fallen die beiden Stücke “Sucking up Souls” und “To Feed the Moon” aber kaum weniger beängstigend aus.
Das einundzwanzigminütige “Sucking up Souls” basiert überwiegend auf dem Einsatz von (in der Mehrheit weiblichen) Stimmen, die zu einer unentwirrbar wirkenden Kollage montiert sind. Dabei ist die Vielfalt der Performance von Gesang über Spoken Words bis zu gespenstischem Flüstern beeindruckend: Den Auftakt macht ein liturgisch anmutender Sopran, der sich schon bald mit anderen klassischen Gesängen überlappt und mit ihnen zusammen verquere Ornamente entstehen lässt. Der Loop einer bellenden Männerstimme, die man als Reminiszenz der abgründigeren Vorgängeralben verstehen könnte, bringt etwas Kantiges ins Bild, bis sie von einem dröhnenden Rumoren gepackt und in den Hintergrund gezogen wird. Rasselnde Ketten lassen einen neuen Abschnitt beginnen, in dem verwaschene Chöre den Hintergrund bilden für eine kindliche Stimme, die einen lyrischen Text rezitiert, bis alles verschwimmt und die liturgischen Gesänge wieder an die Oberfläche dringen. All diese immer wieder abtauchenden und in der einen oder anderen Weise wieder auftauchenden Motive scheinen stets auf der Suche nach einer adäquaten Form zu sein und müssen doch immer wieder ihre Auflösung erleben, die hier in einer Feinsinnigkeit inszeniert wird, die damals wahrscheinlich Standards gesetzt hatte.
Das die zweite Seite füllende “To Feed the Moon” wirkt im herkömmlichen Sinne “musikalischer”: Was mit dunkler Dröhnung und hellen, entrückten Klangtupfern startet, wird schnell zum melodischen Fundament für einen fast den ganzen Track durchziehenden tribalen Trommelrhythmus, der – das ist der einzige Wermutstropfen – immer etwas aufgeklebt wirkt, und zwischen dessen leicht aus den Fugen geratenen Anschlägen sich dann auch wieder Stimmen nach oben schleichen. Neben der kindlichen Stimme (wahrscheinlich Ruby Wallis), die eine Art Kehrreim aufsagt, ist dann auch Tibet etwas deutlicher zu hören. Im Unterschied zum ersten Track ist das Stück veränderlicher und mündet nach einer Phase relativer Ruhe in ein fast rockiges Szenario, das mit etwas Fantasie wie eine Vorstufe zu einem Stück wie “Panzer Ruin” klingt.
Die Soundkollagen als eine Art Archiv geträumter (und gestorbener) Träume zu sehen, ist eine durchaus naheliegende Assoziation, die Tibets Ideen zu dem Album entspricht, während Stapleton die Sounds als Geräusche eines nächtlichen Sanatoriums verstand. Natürlich öffnen Album- und Tracktitel weitere Assoziationen. Über David Tibets Interesse am Menstruationszyklus ist viel geschrieben worden, und in der Tat tauchten damit verbundene Motive, auch in für Tibet typischer Verknüpfung mit anderen Themen, für lange Zeit immer wieder im Werk von Current 93 auf, und bis heute tragen Veröffentlichungen den Mond im Titel. Bei den beiden Stücken auf “In Menstrual Night”, in denen Seelen aufgesaugt und der Mond gefüttert wird, könnte man mutmaßen, dass eventuell G.I.Gurdjieff inspirierend war. In dessen kosmologischer Theorie gibt es die Vorstellung, dass der Mond, der wie alle Himmelskörper wie ein lebender Organismus beschrieben wird, in seinem Bestreben, selbst ein Planet zu werden, Energie aus der irdischen Biosphäre saugt. Besonders die Seelen der Menschen dienen ihm als Nahrung, und entziehen können diese sich dem Sog des Mondes nur durch einen enormen Fokus auf bestimmte esoterische Praktiken. Wer zu passiv und verführbar ist und dem hypnotischen Zauber des Trabanten erliegt, endet als Energiequelle für dessen Planetwerdung. Viele Interpreten haben diese Mythologie als Reflexion über feminine Energie gedeutet, was dann den Bogen zum Periodenzyklus schlägt – zur Frage, ob Tibet sich davon inspirieren ließ und wenn ja, wie tiefgehend, gibt es keine Belege. Wundern würde es nicht.
“In Menstrual Night”, in dessen CD-Version noch der Nightmare Culture-Track “KillyKillKilly (A Fire Sermon)” enthalten war, eröffnet einen interessanten Seitenpfad in der Diskografie von Current 93, der seine spätere Fortführung in Releases wie “Faust” und in den v.a. mit Andrew Liles produzierten EPs wie “The Moons At your Door” finden sollte – einer Musik, die vielleicht eine viel zentralere Rolle gespielt hätte und noch einige elaborierte Resultate hervorgebracht hätte, wäre das folkig eingefärbte Songformat nicht dazwischen gekommen. Da dies so nicht gekommen ist, sticht “In Menstrual Night” noch deutlicher hervor. House of Mythology gehen nun zu den Ursprüngen zurück und bringen als HomAleph eine neue limitierte Picture Disc des Albums heraus.