THE PROTAGONIST: Songs of Experience

Magnus Sundström alias The Protagonist ist ein streng konzeptuell arbeitender Musiker, der mit seinen Kompositionen und seiner Auswahl an literarischen Referenzen recht fundamentalen Fragen auf die Spur zu kommen sucht, Fragen, die für Außenstehende vage und unbestimmt bleiben müssen und doch immer um Themen der Vergänglichkeit, des Ennui und einer damit zusammenhängenden Dandyhaltung kreisen. Medium seiner Suche war in der Vergangenheit meist bestimmte Literatur von der frühen Romantik bis zur klassischen Moderne Weiterlesen

CURRENT 93: And When Rome Falls

Konzertaufnahmen sind seit langem ein fester Bestandteil von David Tibets Diskografie. Ausgehend von den beiden als “All Dolled Up Like Christ” auf Doppel-CD herausgebrachten Konzerten in der New Yorker Ohrensanz-Foundation erschien eine ganze Reihe an Mitschnitten kompletter Auftritte, und zeitweise dachte man fast, die damals nicht gerade eifrig tourende Band wolle mit der Zeit buchstäblich jede Show durch einen schön gestalteten Tonträger würdigen. Alben wie “Cats Drunk On Copper”, “Halo” und “Birdsong In The Empire” entsprechen dabei quasi einem (später durch Rockelemente Weiterlesen

NIEDOWIERZANIE: Attendre

Immer wenn man denkt, atmosphärische elektronische Musik sei nun endgültig an ihrem Ende angelangt und friste ein überwiegend epigonales Dasein, stößt man unvorbereitet auf eine Platte, die so gar nicht langweilig und verbraucht klingt und es im Handumdrehen schafft, dass man alle Vorurteile wieder über Bord wirft. „Attendre“, das zweite Album dieses Projektes mit dem polnischen Namen, den ich mir nie länger als zehn Sekunden behalten kann, ist so ein Fall. Niedowierzanie, wie der in Deutschland lebende Franzose Léo sein musikalisches Medium nennt, steht für Weiterlesen

GRIMES: Visions

So ganz ohne Hipster geht es anscheinend auch bei uns nicht, aber so lange man das mit dem altehrwürdigen Londoner Traditionslabel 4AD gemeinsam hat, kann nicht allzu viel falsch daran sein. Die haben nämlich vor kurzem die Kanadierin Claire Boucher a.k.a. Grimes unter Vertrag genommen – anlässlich ihres dritten Lonplayers „Visions“, der zur Zeit Lob aus allen Richtungen bekommt und dessen Cover ebensogut den zweihundertsten Konzertmitschnitt von Aaron Dilloway zieren könnte. Weiterlesen

CARTER TUTTI VOID: Transverse

„Transverse“ ist die Aufnahme eines gemeinsamen Auftritts von Chris Carter, Cosey Fanni Tutti und Nik Void (Factory Floor) im Roundhouse in London anlässlich des Mute-Jubiläums im vergangenen Jahr und natürlich kann man den Auftritt durch den Altersunterschied der Beteiligten als ein Treffen der Generationen interpretieren und symbolisch hochstilisieren. Weiterlesen

ROMA AMOR: Occhi Neri

Das Duo Roma Amor ist in unseren Breiten noch nicht so richtig bekannt geworden, und trifft man einmal jemanden, der die Gruppe kennt, dann sieht man sich oft mit vorschnell produzierten Fehlinformationen konfrontiert. Euski und Michele kommen weder aus Rom, noch hat der Stil der beiden mit Neofolk im engeren Sinne zu tun. Die beiden stammen aus der Region Emilia-Romagna und singen gelegentlich im Dialekt ihres Landstriches. Die Musik, die sie spielen, ist eine italienische Ausprägung des klassischen Torch Song. Bisweilen auch lupenreiner Chanson. Weiterlesen

MACU: Retrospectives

Susanne Hafenschers Projekt MaCu wurde vor einigen Monaten bereits im Zusammenhang ihrer Kollaboration mit Federico Barabino vorgestellt. Unter dem Titel „Retrospectives“ fasst die österreichische Gitarristin und Pianistin, die sich irgendwann der Bearbeitung von Field Recordings und der Ausgestaltung hypnotischer Gitarrendrones verschrieb, ihre neuesten Arbeiten zusammen. Der Begriff des Retrospektiven referiert hier jedoch nur teilweise auf das Alter der Aufnahmen, denn lediglich drei überarbeitete Sampler-Beiträge wurden in die Auswahl integriert – insgesamt ist es mehr das Zurückblicken und Erinnern als mentaler und emotionaler Vorgang, der in den sieben Abschnitten in Töne gefasst wird. Weiterlesen

SO LIKE DORIAN: Stranger

Den etwas unscheinbar klingenden Namen So Like Dorian könnte man in Zukunft öfter zu hören bekommen. Der Kopenhagerner Rasmus Steffensen, der seit drei Jahren unter diesem Namen sein eigenes Terrain im Bereich fragiler Folkmusik beackert, ist niemand, der mit der Tür ins Haus fällt, und so ließ er sich mit seinem Projekt auch erst einmal Zeit und machte sich erst nach und nach in den entsprechenden Kreisen bemerkbar. Nach immer regelmäßigeren Auftritten und einer Reihe an kleineren Veröffentlichungen ist nun für dieses Jahr der erste Longplayer geplant. Weiterlesen

VCMG: Ssss

Dass in den Medien nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit von Martin Gore und Vince Clarke schnell von einer „Sensation“ die Rede war, hatte (natürlich) erst einmal weniger mit der Musik als mit den Beteiligten, insbesondere ihrem Verhältnis zueinander zu tun und natürlich mit der enormen zeitlichen Distanz zwischen der (gemeinsamen) Arbeit am ersten Depeche Mode-Album und dem neuen Technoprojekt VCMG. In den dazwischen liegenden drei Dekaden haben Martin Gore und Vince Clarke mit durchaus unterschiedlichem Instrumentarium und einer fast gänzlich anderen Ästhetik elektronische Weiterlesen

CARMEN BURGUESS: Seventeen (Buch)

Carmen Burguess ist nicht nur die weibliche Hälfte des Psych Punk-Duos Mueran Humanos, dessen Wege irgendwann von Buenos Aires über Barcelona bis in deutsche Gefilde führten. In der spanischsprachigen Welt konnte sie sich bereits ein Renommee als Illustratorin erarbeiten, bereicherte mit ihren reizvoll ätzenden Porträts Zeitschriften wie „Quimera“, illustrierte ein Buch des argentinischen Romanciers Javier Calva und zuletzt einen Band mit Gedichten Lovecrafts. Dabei deckt sie von der Kollage über die Zeichnung bis zum Acrylbild eine respektable Bandbreite an Medien ab. Gemeinsam ist all ihren Arbeiten die Leichtigkeit von Comic und Karrikatur und die Lust an der unerbittlichen, schwarzhumorigen Entzauberung all dessen, was man so als Lebensfreude aufgetischt bekommt. Weiterlesen

PREMATURE EJACULATION: Part 3

In den vergangenen Rezensionen zu Rozz Williams’ „Lost Recordings“ habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass die frühen SPK insbesondere ästhetisch-thematisch eine wichtige Rolle für ihn gespielt haben und dass Premature Ejaculation sich (durch Artwork, Tracktitel und Samples) immer wieder mit den Versehrungen des menschlichen Körpers (und Geistes) beschäftigt haben: Diesmal erinnert das das Cover zierende Bild einer Trepanation natürlich an das erste unter dem Namen System Planning Korporation veröffentlichte Album „Information Overload Unit“. Weiterlesen

A PLACE TO BURY STRANGERS: Onwards To The Wall

Anscheinend ist A Place To Bury Strangers keine Nerd-Band, andernfalls wäre die Herkunft des Bandnamens schon öfter diskutiert worden – der stammt nämlich von unser aller Kinderschreck Aleister Crowley und ist im Untertitel eines frühen Gedichtes enthalten. Markant ist er auch ohne Vorwissen, und passt somit bestens zu einer Band, die lange bevor Begriffe wie Shoegaze und Postpunk in den hippen Medien ein Revival feierten, das Erbe eines für längere Zeit verdrängten Sounds antraten. Weiterlesen

AGENT SIDE GRINDER: Hardware

Ein Albumtitel wie „Hardware“ referiert natürlich auf eine Zeit, als man im Informationsbereich noch einen viel größeren Bezug zum Materiellen hatte als heute. Im Falle von Agent Side Grinder beschreibt er aber auch den Sound sehr gut, denn das Trio spielt eine analoge Musik, die melodisch, eingängig und kurzweilig ist, und jede der rund fünfundvierzig Minuten geht in Ohr und Bein. Harte Ware ist sie dennoch. Von einer Popgruppe sagt man das eher selten. Weiterlesen

LIZ GREEN: O, Devotion!

Im Zuge der vielen (mal mehr, mal weniger gelungenen) Wiederbelebungsversuche des Folk erschien eine beachtliche Reihe an Stilmischungen auf der Bildfläche, und die Überblendung englischer und angloamerikanischer Traditionen wurde um einige interessante Facetten bereichert. Je nach Ausrichtung lassen sich solche Hybride auch kaum vermeiden, wenn man bedenkt, wie eng beide Linien miteinander verknüpft sind. Dennoch bringt die junge Engländerin Liz Green, die in der britischen Musikpresse derzeit unzählige Lobeshymnen erfährt, eine markante neue Nuance ins Spiel, denn die Bandbreite ihrer Songs geht weit über den Einbezug von Blues und Apallachian Folk hinaus. Weiterlesen

THE PROTAGONIST: A Rebours

Aufgrund seines gepflegten Stils assoziiert man den klassischen Dandy gerne mit Mode, doch in Wirklichkeit waren die Dandys des 19. Jahrhunderts recht unzeitgemäße Originale, die sich mit ihrem herausgeputzten Äußeren dem Stildiktak ihrer Zeit entgegen stellten. Ihr Protest gegen die moderne Schelllebigkeit, die uns heute nichtig erscheinen muss, war so radikal wie skurril. Es wird gesagt, dass französische Dandies Schildkröten als Haustiere hielten und sie in demonstrativer Langsamkeit an der Hundeleine vor Fabrikanlagen spazieren führten. Arbeit galt laut Oscar Wilde als eines der größten Laster der trinkenden Klassen. Weiterlesen

SKIN AREA: Rothko Field

Die Wiener Aktionisten und insbesondere Rudolf Schwarzkogler haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf verschiedenste Industrialgenerationen gehabt. So (re)produzierte Steven Stapleton (ob intendiert oder nicht) den Mythos von Schwarzkoglers vermeintlicher Autokastration. Die Performances von COUM Transmissions wären ohne die Vorarbeit der Wiener Gruppe undenkbar gewesen. Dass oftmals der Bezug bei weniger inspirierten Künstlern ein nur oberflächlicher zu sein scheint, der eher schmückendes Beiwerk denn ernsthafte Auseinandersetzung ist, daran kranken weite Teile der Subkultur. Weiterlesen

DALE COOPER QUARTET & THE DICTAPHONES: Métamanoir

Nach der immensen Aufmerksamkeit, die dem dunklen Sound des Kilimanjaro Darkjazz Ensembles und seinem Pendant im Zeichen des Mount Fuji zuteil wurde, hätte man fast vergessen können, dass es noch ein weiteres, wenn auch kleineres Gebirgsmassiv gibt, das zumindest indirekt als Namensgeber eines bizarren Zeitlupengroove fungiert: Gemeint sind die fiktiven Twin Peaks aus der gleichnamigen Serie von David Lynch. Vor ihrer Kulisse versuchte ein FBI-Agent namens Dale Cooper einen myteriösen Mord aufzuklären. Weiterlesen

SOAP&SKIN: Narrow

Soap&Skin polarisiert. Die einen stecken ihre Songs gar zu schnell in die Ecke für sensible und leicht überdrehte Mädchenmusik – eine Drama Queen, die sich psychisch entblößt und der neurotischen Jugend von heute ihr Identitätsfutter gibt. Andere setzen auf hohen Stil und fahren schwere Geschütze klassischer Bildung auf, holen die Gedichte Trakls aus der Kiste und bemühen das romantische Kunstlied, um sich einen Reim auf die Anziehungskraft zu machen, die ihr Debüt „Lovetune for Vacuum“ vor ein paar Jahren ausstrahlte. Natürlich nicht ganz zu unrecht. Anja Plaschg, die Person hinter dem Namen, sieht sich als Popmusikerin, und ihr Unbeeindrucktsein gegenüber all den klugen Fachsimpeleien Weiterlesen

ELECTRIC SEWER AGE: In Final Phase

In meiner Rezension zu „The Ape of Naples“, die gleichzeitig (auch) eine Art Nachruf auf Jhonn Balance war, schrieb ich, dass Trauer oftmals etwas Egoistisches ist, man darüber betrübt sei, nicht mehr in den Genuss weiterer künstlerischer Werke der Verstorbenen zu kommen. Dabei wurde das 2005 bekannt gegebene Ende Coils durch die postumen Veröffentlichungen verzögert. Nach Sleazys Ableben hat das alles nun eine endgültige, eine finale Note und man sucht verzweifelt nach noch ungehörten und unerhörten Stücken. Weiterlesen