Ursprünglich war der Amerikaner Boyd Rice von der ersten Industrialgeneration einmal der a- und unpolitischste: Nur im allgemeinen Sinne konnte man aus der Beschreibung seiner Musik als „de-indoctrination rites“ spezifische Handlungen ableiten, im weitesten Sinne ließe sich diese Beschreibung als Ablehnung von Autoritäten lesen und man könnte ihr einen aufklärerischen Impetus zuschreiben, wie das bei den Zeitgenossen TG, SPK, Cabaret Voltaire – trotz aller Ambivalenzen – auch immer der Fall war.
Der Terminus Ritus ist aber auf rein musikalischer Ebene auch keine falsche Beschreibung der von Rice erzeugten Klänge, da er auch immer einen Moment der Wiederholung impliziert und Rices Musik ist seit Beginn, seit er 1975 das unbetitelte sogenannte „Black Album“ einspielte, geprägt gewesen vom Einsatz von loops, von Zirkulärem und Repetetivem und dadurch bedingt auch (unvermeidlich) von Statik, die die dominierenden Kompositionsmittel seiner Musik sind. Am deutlichsten zeigte sich das in der Materialität von „Pagan Muzak“: einer (so betitelten) LP im 7′ -Gewand, auf der lauter Endlosrillen zu finden waren und in die Rice noch ein weiteres Loch abseits der Mitte gebohrt hatte. Als 1987 „Blood and Flame“ erschien, war das die Kumulation seiner Geräuschmusik; das Album wirkte von allen bis dahin erschienenen Werken am ausgereiftesten. Neu war, dass Rice durch Artwork, Symbolik und Zitate seine Musik rechts(extrem) situierte und (re)kontextualisierte (ein Großteil der Tracks war in den Jahren zuvor entstanden) und sich somit – auf den folgenden Veröffentlichungen sollte das noch virulenter werden – an Indoktrinationsriten versuchte. Gründe dafür lassen sich auch ohne allzu große Psychologisierung leicht finden: Vielleicht wurde ihm deutlich, dass mit dem begrenzten Instrumentarium, das ihm zur Verfügung stand, nun nichts mehr gesagt werden konnte, es anderer Reize bedurfte, um weiterhin transgressiv bleiben zu können und wenn auch nur auf letztlich pubertäre Weise. Zudem mag den Jungen aus dem Trailerpark eine recht schlichte Philosophie der Stärke angesprochen haben, konnte er sich doch damit auf die Seite der (vermeintlich) Starken, der Gewinner schlagen. Zu einer Radikalisierung mag auch seine Zeit als „Alarm Agent“ in San Francisco beigetragen haben: Das, was er da auf der Straße sah, führte bezeichnenderweise eben nicht zu einer Solidarisierung mit den Marginalisierten, dem „low life“, sondern erzeugte Abscheu und führte zur Diagnose: Dekadenzerscheinung.
Seit der zweiten Hälfte der 80er fiel Rice dann auch in zunehmendem Maße weniger durch seine Musik als durch seine an verschiedenen Orten geäußerte Weltanschauung (u.a. als Sprecher der Church of Satan) auf. Obwohl Rice jüngst in einem Interview sagte, er bereue nichts, so hat man bei den anderen in der letzten Zeit veröffentlichten langen Interviews den Eindruck, er versuche, einige seiner besonders unschönen Entgleisungen ein wenig herunterzuspielen, etwa dann, wenn er behauptet, bei seinem Auftritt in der Fernsehshow des Neonazis Tom Metzger, in dem er versucht hatte, Industrial als weiße Musik zu verkaufen, habe er lediglich Gedanken einer anderen Person wiedergegeben. Jeder, der diesen peinlichen und kaum zu ertragenden Auftritt gesehen hat, weiß, dass das nicht stimmt. Es gibt genügend Auftritte der folgenden Jahre, die völlig indiskutabel sind und die Rice jahrelang zur Persona non grata machten.
Vor einigen Jahren sagte der ehemalige Weggefährte Peter Christopherson auf Rice angesprochen, solch eine Weltanschauung abzulehnen, habe einfach mit gesundem Menschenverstand zu tun. Bezeichnenderweise würde ein Großteil von Rices Interessen, seien es nun „incredibly strange films“, sei es „incredibly strange music“, oder ganz im Allgemeinen die von ihm verehrte Trashkultur, von den Leuten, mit denen er sich oft genug gemein machte, selbst als dekadent diffamiert werden. Diese Paradoxie zeigt sich auch bei dem Auftritt in Osaka aus dem Jahre 1989 ( später auf „In the Shadow of the Sword“ veröffentlicht), auf dem er unter dem Label „gothic march music“ agitatorische Texte – untermalt von dumpfen Orgelklängen und Kesseltrommeln – rezitierte. War für Tony Wakeford, der einer der Trommler war, damals noch Disneyland ein Symptom des Untergang des Abendlandes, war es für Rice „the happiest place in the world“, die Utopie, die zu realisieren es galt („one day the world can be Disneyland“ sollte er ein Jahr später deklamieren). Mit „Might“ folgte ein Album, auf dem Rice die Texte aus Ragnar Redbeards sozialdarwinistischem Traktat (und von Anton La Vey für seine Satanic Bible ausgiebig geplündertem) Might is Right entlieh, bevor mit dem 1997 erschienenen Album „God and Beast“ der Höhepunkt der Kombination von Noise und sloganhaften („Venus is lust/Mars is war“) Texten erreicht war. Als Mutegründer Daniel Miller vor einigen Monaten für das Mojo-Magazin eine CD mit Klassikern der elektronischen Musik zusammenstellte, setzte er „Total War“ von eben diesem Album mit der Begründung ans Ende: „it’s a track that can’t be followed“. Und tatsächlich, die beiden nach „God and Beast“ erschienenen Alben „Receive the Flame“ und „Children of the Black Sun“ verzichteten gänzlich auf Vocals und allzu harsche Klänge. Als als Auskopplung aus ersterem die Single „Solitude“ mit zwei Löchern und mit Endlosrillen auf der B-Seite erschien, wirkte das dann allerdings nur noch als arg blasser Versuch das zu reproduzieren, was Rice zwei Jahrzehnte zuvor gemacht hatte.
Dass in den letzten Jahren Rice eher wieder über seine klanglichen Innovationen als über seine weltanschaulichen Regressionen wahrgenommen werden wollte, zeigte ebenfalls die 2004 erschienene Zusammenstellung „Terra Incognita: Ambient Works“. Wurde die 1991 veröffentlichte „Best of“ von NON noch unter den Titel „easy listening for iron youth“ angepriesen, zierte der inmitten seiner gepfählten Gegner eine Mahlzeit einnehmende Vlad Tepes das Booklet, in dem Rice seinen Mentor Anton La Vey zitierte und bezeichnete Adam Parfrey in den Linernotes die Musik noch als adäquate Untermalung einer „frenzied blood-letting at the foot of the mongol steppes“, so spielten diese Aspekte in dem Essay zu Rices Werk auf „Tera Incognita“ kaum noch eine Rolle, ging es doch darum, Rice als Vorreiter des Samplens, als innovativen Geräuschmusiker zu verorten – das hier betretene unbekannte Land war fast ausschließlich klanglich und musikalisch zu sehen.
Da mag es auch passen, dass das nun – zehn Jahre nach dem letzten als NON herausgebrachtem neuen Studiomaterial – erschienene Album nicht wie ursprünglich geplant „Man Cannot Flatter Fate“ heißt – darin steckt das Moment des (Vorher-)Bestimmtseins, und man wird an Rices wissenschaftlich wenig valide Gralsstudien und seine Behauptung, es sei möglich, er stamme von Jesus ab, erinnert -, sondern „Back to Mono“, ganz auf den (einfachen) Klang reduziert und gleichzeitig ein Phil Spector -Album zitierend. War eine limitierte Auflage von „Children of the Black Sun“ noch mit einer Bonus-DVD veröffentlicht worden, auf der das Album im in einem Surroundsound zu hören war, geht es hier zurück zu den Anfängen.
„Back to Mono“ wird eröffnet von „Turn Me On, Dead Man“, eingespielt zusammen mit Z’ev, wobei die perkussiven Elemente hier viel stärker dominieren als etwa auf der vor einigen Jahren veröffentlichten 12′ und fast den Eindruck erwecken, es beginne ein Rocksong, bevor Störgeräusche einbrechen. Dennoch weist dieses Stück noch am ehesten konventionelle Songstrukturen auf. Mit „Watusi“ wird ein ursprünglich auf der „Dark Sctrachers“-Compilation zu findendes Stück wesentlich noisiger neu eingespielt und hier findet sich eines der zentralen kompositorischen Merkmale NONs: der Loop, die Wiederholung. Ohne weiteres würde dieses Stück -wie auch die darauf folgenden- problemlos auf „Blood and Flame“ passen. Das mit Wes Eisold von Cold Cave aufgenommene Titelstück beginnt mit hochfrequenten Tönen, bevor man den Eindruck hat, man befinde sich in einer Turbinenhalle – zumindest für fünf Minuten. „Seven Sermons to the Dead“, eine Anspielung an einen von Rice schon mehrfach verwendeten Text C.G. Jungs, klingt wie eine Liveaufnahme, man meint Klatschen zu hören, Stimmen ertönen im Hintergrund, hochfrequente Geräusche setzen ein und Rice scheint einen Text zu murmeln. EVP goes industrial. „Obey Your Signal Only“ und „Man Cannot Flatter Fate“ sind zwei ebenfalls statische Klangwände (ersteres erweckt den Eindruck, ein Blasinstrument könnte die verwendete Klangquelle sein). Der Verweis auf die Vergangenheit wird mit „Scream“ explizit, handelt es sich doch um eine 1979 gemachte Liveaufnahme, die sich – sieht man von der Klangqualität ab – fast nahtlos einfügt und damit verdeutlicht, wie stark sich das Album an den Wurzeln orientiert. Es folgt eine nicht ganz so aggressive Liveaufnahme des Titelstücks, bevor die Reprise von „Turn Me On, Dead Man“ einsetzt, die sich doch erheblich vom Opener unterscheidet, wird doch fast gänzlich auf Rhythmus verzichtet, stattdessen hat man eine dunkle, atmosphärische, industrielle Klanglandschaft. Hätte das Album hier geendet, wäre es recht kohärent gewesen, stattdessen finden sich allerdings noch zwei Tracks, die eine etwas andere Richtung einschlagen. Da ist zum einen das ursprünglich in ähnlicher Form 2004 auf dem (als Boyd Rice and Fiends eingespieltem) „Wolf Pact“-Album veröffentlichte „Fire Shall Come“, das noch einmal den agitatorischen Brüller zeigt, der zu stampfenden Rhythmen „fire will come and judge,/And consume all things“ verkündet, da ist zum anderen die Neuinterpretation von The Normals eigentlich schon (jüngst noch von den Labelkollegen Laibach) zu Tode gecoverten „Warm Leatherette“, die sich abgesehen von einer leichten Noiseinfusion sehr stark am Original orientiert (wie eine völlige Neuinterpretation klingen kann, kann man hier hören). Das kann man als Hommage und Danksagung an Daniel Miller sehen, der Rice in all den Jahren auch gegen den Wunsch anderer nie aus dem Labelprogramm genommen hat. Als solche ist das ok, musikalisch wird wenig Essentielles hinzugefügt.
Vielleicht wird es Rice gelingen, nun wieder für das beurteilt zu werden, was er Mitte der 70er mit aus der Taufe hob – vor einiger Zeit hat er es sogar anlässlich seines Auftritts beim Mutejubiläum auf die Seiten des Intro geschafft –, dieses Album ist sicher -trotz Abstrichen – nicht der schlechteste Versuch, die Rezeption wieder in andere Bahnen zu lenken.
(J.M.)
Label: Mute