Als Stephen Burch vor sieben Jahren das Label Woodland Recordings ins Leben rief, dachte er vermutlich nicht daran, dass es in seinem Leben zu einer ähnlich starken Konstante heranwachsen sollte wie sein Musikprojekt The Great Park. Doch seit seinem Spilt-Album mit The Diamond Family Archive sind nicht nur sieben Jahre ins Land gezogen, sondern ganze fünfzig weitere Veröffentlichungen, die Jahr für Jahr in limitierter Stückzahl und in liebevoller, handgemachter Aufmachung herausgekommen sind. Mal erschienen die Tonträger in schicken handgefalteten Papiertüten, mal in sorgsam dekorierten Boxes aus Tonpapier, die mit Mixed Media-Ideen zu kleinen Assemblagen umgestaltet wurden. Oft glich keines der wenigen hundert Exemplare einer Veröffentlichung dem anderen, weswegen auch niemand je daran Anstoß nahm, dass Burch für sein DIY-Konzept meist das Medium der CDr wählte.
Inhaltlich richtete sich Woodland Recordings ausschließlich nach Stephens Geschmacksvorlieben und nach den Kontakten, die sich im Laufe der Zeit ergaben. Dass sich zu keinem geringen Teil Musiker aus der Tradition des folkig angehauchten Akustiksongs um ihn scharten, ist weniger einer Programmatik geschuldet, sondern ergab sich vielmehr aus der Natur seiner eigenen dunklen Songs, denn gleich und gleich gesellt sich bekanntlich ganz gern. Mit den lärmigen Riot Girls von Vivian Void sei nur ein besonders markantes Beispiel dafür genannt, dass die Interessen auch in ganz andere Richtungen gehen können.
Dieser Ausrichtung entspricht auch die gerade erschienene Compilation mit dem lakonischen Titel „50“, die fünfzigste Veröffentlichung im Katalog, mit der Stephen nun den ersten Schaffensabschnitt des Labels feiert. Um die Zahl wird beinahe ein kleiner Kult betrieben, denn bei der auf fünfzig Einheiten limitierten Box sind fünfzig Interpreten mit jeweils einem Song vertreten. Ob das gut gehen kann? Kann es, denn wie vor ein paar Jahren David Tibet und Mark Logan mit ihrer Ärzte ohne Grenzen-Box ließ sich Stephen Zeit mit der Auswahl und erweiterte sein Spektrum weit über die Grenzen seines ursprünglichen Kosmos. Ist man mit den bisherigen Veröffentlichungen etwas vertrauter, so erkennt man bekannte Namen jedoch schnell als eine Art Herzstück der Sammlung.
The Great Park selbst klingt so morbid und einschmeichelnd wie eh und je auf der hier vertretenen Akustikversion eines Songs, der bereits im Score des Films „Centerland“ zu hören war. Eine ähnlich bittersüße Stimmung weiß Allysen Callery zu evozieren, die im letzten Jahr erstmals dem Label die Ehre gab. Fee Reega muss man Woodland-Fans nicht mehr vorstellen, in „Michi Panero“ von kommenden Album nähert sie sich den menschlichen Abgründen erneut so skurril anmutig, wie es Meret Becker nicht besser vormocht hätte. Binoculers, hier vertreten mit einem der lieblichsten Folkstücke, zählt zum frühen Umfeld des Labels und die All Girl-Combo Vivian Void sticht mit einem forschen Battle Song hervor. Wer freilich nicht fehlen darf sind der Shanty-Barde Thirty Pounds of Bone, das iberische Psychedelicon Pablo and Destruction und der Nürnberger Vincent von Flieger, der einen morbiden, monotonen Downer mit dem illusionslosesten Strumming seit Hank WIlliams zum besten gibt.
Neben einigen, die bereits mit Burch auf der Bühne standen (Aaron Dall) und musikalisch in eine ähnliche Kerbe schlagen (So Like Dorian, der berührende Schmachtfetzen von Xisco Rojo, die inbrünstig schmetternden Bird Radio, die griechischen Darkfolker Mani Deum), sind auch einige neue und überraschende Stimmen zu hören. Zu den bekanntesten zählt Dorian Wood, den einige als neuen Queerstar feiern, auch wenn er vielleicht etwas zu nah an Antony ist. Sehr interessant auch die deutsche Formation Hugovinnias Crackpots, die sich eines älteren The Great Park-Songs angenommen hat, um ihn auf eine Tour de Force durch vier Jahrzehnte europäischer Popgeschichte zu schicken. Mancher Beitrag gibt sich ausgesprochen skurril, so der Noisepop von The Alkemyst und der verquere Synthiedrone von Hasni Malik und Nicholas Langley. Eine heimliche Vorliebe für Drone- und Ambientklänge scheint Burch ohnehin zu haben, zu den herausragenden Beiträgen solcher Art zählen die intimen Klänge von Red On, ein mit allen akustischen Spannungsmachern angereicherte Düsterkollage von Hand of Stabs und nicht zuletzt die sorgsam gestaltete Ambientnummer von Oublier et Mourir, hinter der sich kein geringerer als der Industrial-Musiker Anemone Tube verbirgt. Wie dieser Kontakt wohl zustande kam…
Obwohl die Compilation weit über die Grenzen des Label hinausreicht, steht sie doch ziemlich exemplarisch für Stephens Präferenzen, da dunkler, bisweilen lieblicher, ab und an schräger, doch niemals zu hipper Akustiksound dominiert und von Überraschungen durchzogen sind, die meist sehr atmosphärisch gestaltet sind und gelegentlich auch mal krachen dürfen. Zwangsläufig hat bei einer dreieinhalbstündigen Musiksammlung jeder seine persönlichen Skipkandidaten, doch beim Rezensenten fällt diese Gruppe ziemlich klein aus, weshalb sich die Vorfreude auf „100“ schon jetzt bemerkbar macht. (U.S.)
Label: Woodland Recordings