ELECTRIC SEWER AGE: Bad White Corpuscle

Eine dumpf dröhnende Sci Fi-Atmosphäre verbreitet sich im Raum, irgendwann beginnen kosmische Synthies das Dickicht zu durchleuchten, das sich nach und nach als fein ziseliertes klangliches Amalgam offenbart. Vocoder-Stimmen verschaffen sich Gehör und geben dem futurischtischen Narrativ schon bald einen nostalgischen, retrolastigen Anstrich, doch was am meisten beeindruckt ist die Vielzahl an kleinen klirrenden und glühenden Ereignissen, die fast versteckt hinter kontinuierlich kreisenden Sounds aufblitzen, um sich schnell wieder in ihre Verstecke zurückzuziehen. Denn dass die spannendsten Momente beinahe im Verborgenen stattfinden, scheint hier Programm zu sein. So in etwa lässt sich die klangliche Gestalt von „Grey Corpuscle“, dem kompakten Auftakt des bisher einzigen und vor kurzem wiederveröffentlichten Electric Sewer Age-Albums umschreiben.

Es ist zugleich der Versuch, eine Danny Hyde-Besprechung einzuleiten, ohne gleich auf eine der charismatischesten Bands überhaupt, nämlich Coil, zu verweisen, deren Name aus seiner künstlerischen Biografie ebenso wenig wegzudenken ist wie aus der von Black Sun Productions. Dass Hyde seit den späten 80ern Coil produzierte, ist hinlänglich bekannt, und sein Einfluss auf den Sound der Gruppe, der sicher über die eines reinen Technikers hinausging, wird wohl für immer Stoff für Spekulationen sein. War er die große graue Eminenz oder sogar – weit über ein Nebenprojekt wie Black Light District hinaus – so etwas wie ein inoffizielles Mitglied? Viel interessanter finde ich die Beobachtung, dass es im Coil-Kontext kaum als epigonaler Makel erscheint, als Ableger zu gelten und dabei einen Sound recht nah an dem der großen Referenzband zu produzieren.

Auf der vorausgegangenen EP „In Final Phase“ war die Referenz noch offenkundig, durch den Titel, der auf die „Moon’s Milk (In four Phases)“-Reihe und weitere Veröffentlichungen verwies, sowie durch das Mitwirken Sleazys, und ursprünglich, nach einer Idee des Divine Frequency-Gründers John Deek, war das Projekt ohnehin als offenes Ventil Coil-naher Musiker gedacht und inkarnierte zunächst als Hydes und Christophersons Duo. Auf „Bad White Corpuscle“ erscheint Electric Sewer Age eindeutig als eine Art zweites Soloprojekt nach Aural Rage. Ein großer Vorteil besteht nun darin, dass das Album sich viel weniger stark mit dem Referenzmaterial messen lassen muss. Gerade in seiner Balance aus relativer Eigenständigkeit und immer noch starker musikalischer Nähe zu späten Coil jedoch weiß es mehr als die vorausgegangenen Aufnahmen zu überzeugen.

Irgendwie bilden die drei ersten, noch verhältnismäßig kompakten Tracks eine Art Einheit, der Auftakt geht nahtlos über in das orgellastig tremolierende „Corpuscular Corpuscle“, das etwas mehr Dynamik in den verwaschenen Sound bringt, und am Ende des einlullenden „Amber Corpuscle“ hat man endgültig das Gefühl, im Sound des Albums angekommen zu sein. Mit dem ausladenden „Rising Corpuscle“ dagegen zieht es ordentlich an, und wie der Titel schon suggeriert, steigt die Spannungskurve immens. Zerfleddert wirkende, halbperkussive Synthies übernehmen spontan das Ruder und geleiten durch ein Labyrinth aus Lärm, der stellenweise in diabolisches Lachen kippt. Der darauf folgende Titeltrack ist für mich der Höhepunkt des Albums, wozu der irritierende Verlauf des Stücks nur zusätzlich beiträgt. Gerade hier drängen sich Coil-Vergleiche geradezu auf, an „Red Queen“ erinnernde Passagen leiden den fast orchestralen ersten Teil an, und bevor das Stück gegen ende in fette Beats kippt, lässt der ergreifende Chorgesang irgendwie „Going up“ erinnern.

Wollte man Coil-Bezüge wie Ostereier suchen, so könnte man bei „Redocine (Death of the Corpuscle)“ an „Lorca not Orca“ vom „Love’s Secret Domain“-Album denken, denn hier bildet eine feurige Flammenco-Gitarre das Leitmotiv, das den zwischen kratzigen Sounds, verschwommenem Chorgesang und basslastigem Pulsieren changierenden Song zumindest ein bisschen zusammenhält. Beim finalen „Black Corpuscle“ zieht Hyde noch einmal alle Register – ein unterschwelliger, nicht ganz akurater Takt hangelt sich durch Klänge alter Instrumente und bildet zugleich das Fundament für einen abgeklärten Monolog, bevor das Album recht harmonisch ausklingt. Bereits vor etwas über zwei Jahren erschien dieses erste vollwertige Album von ESA bei Old Europa Café, vor kurzem wurde es beim Schweitzer Label Hallow Ground neu aufgelegt. (U.S.)

Label: Hallow Ground