PHARMAKON: Contact

Margaret Chardiets Arbeit als Pharmakon hat in den letzten Jahren erhebliche Resonanz erfahren – gerade abseits der üblichen Genrepublikationen. Auch das aktuelle (inzwischen vierte) Album ist da keine Ausnahme: Lead Review in The Quietus, lange Rezension in The Wire, Interview in The Village Voice – um nur drei Beispiele zu nennen. Wie bei Puce Mary stellt(e) sich die Frage, wie viel all das damit zu tun hat, dass die Musik auf einem angesagten Label erscheint und zudem hier kein adipöser Kraftelektroniker an den Knöpfen dreht, sondern eine junge Frau. Dass solch eine Frage aber schon von manchen als unangemessen/Häresie/Sexismus etc. betrachtet wird (siehe Kommentare unter der Rezension in The Quietus), ist unglücklicherweise ein weiterer Beleg für die fast ubiquitäre Vergiftung und Polarisierung jedweden Diskurses. Dabei ist es durchaus legitim zu fragen, warum gerade Pharmakon so hochgelobt wird, denn als Chardiet vor einiger Zeit im Vorprogramm der Swans auftrat, waren das sicher keine schlechten Performances, aber innovativ und konfrontativ dürften das nur diejenigen gefunden haben, die noch nie einen Auftritt abseits des üblichen Rockzirkus gesehen hatten.

Der (menschliche) Körper in all seiner Zerbrechlichkeit hat fast von Anbeginn eine (nicht nur ästhetisch-metaphorische) tragende Rolle in der industrial culture gespielt. Man denke an die Panoramen des Grauens, die die erste Generation entfaltet hat, insbesondere SPK. Selbst der Transgressionen eigentlich unverdächtige Asmus Tietchens veröffentlichte Mitte der 80er ein Album, dessen Cover nicht jeder goutieren wollte. Das hat alles insofern mit Pharmakon zu tun, als schon auf “Abandon”, ihrem Debüt für Sacred Bones, der Körper mit dem Abjekt (in Form von Maden) konfrontiert wurde. Ihre Erfahrungen mit Krankheit verarbeitete Chardiet auf dem Nachfolger “Bestial Burden”, auf dem in grellen Farben – eher Lucio Fulci als Night of the Living Dead- das Innere nach außen gekehrt wurde. Die nach ihrem Gesicht greifenden, feuchten Hände, die das Cover von “Contact” zieren, muss man nicht, kann man aber durchaus als Illustrierung aktueller Tendenzen sehen, die Körper von Frauen (wieder) stärker zu kontrollieren.

Im Presseinfo heißt es, dass es auf dem Album um die Momente gehe, wenn der Verstand den Körper transzendieren kann; um Trance(zustände) zur Überwindung des Körper(lichen)s. Die verschiedenen Trancezustände seien der „Biorhythmus“ des Albums. Chardiets Äußerungen zum Menschen („Man is a rabid dog, straining at its leash of mortality with bared teeth. Snarling and clawing over each other, we aim to reach a higher ground to claim as our own. There are those who will attempt to exert power over others to attain it.”) und seiner Insignifikanz („We are each nothing but a single, short-lived cell in a vast organism which itself will one day die.“) sind natürlich kein inhaltliches Neuland, sondern gängige Narrative randständiger, “extremer” Musik. Wenn es dann aber heißt, dass das Ziel Kontakt und Empathie sei (“When our mind uses the body in order to transcend and escape it! The moments of connection/communion/CONTACT, when the veil is for a brief but glorious moment lifted, and we are free. Empathy! EMPATHY, NOW!”), so ist das dann ein Ruf, der weit entfernt ist von dem (vermeintlichen) Nihilismus oder der plumpen Gewaltffirmation, die sich in vielen Teilen der Szene findet.

Musikalisch spiegelt sich das wie schon auf den vorherigen Alben in der Kombination aus Death Industrial-Elementen und Chardiets Stimme(n) wider: „Nakedness of Need“ besteht aus pulsierenden Verzerrungen, atonalen Klangschleifen, die Chardiets Schreien/Stöhnen/Stammeln untermalen. Das ist durchaus unangenehme Musik und wie am Ende der Schrei fast in die Hochtöne übergeht, ist schon beeindruckend. „Sentient“ ist eine kurze, immer kurz vor der Eruption stehende intsrumentale basslastige Nummer, die man fast als Vorbereitung auf „Transmission“ verstehen kann: an John Carpenter erinnernde Basspuren, Schläge, rabiate Noiseschleifen, dazu wütende, anklagende Vocals. „Sleepwalking Form“ wird dominiert von bedrohlichen Bässen, in die Perkussion, fiepende Töne und Chardiets zornige Stimme einbrechen. Das Stück endet, als solle hier das Frühwerk Whitehouses zitiert werden. „Somatic“ ist ein lavazähes, recht repetetives Stück. „No Natural Order“ fängt an, als ließe jemand in einer Fabrikhalle Werkzeuge fallen, dann setzt langsam-stampfende Perkussion ein. Chardiets Stimme changiert zwischen Hysterie und Wut. Dass nach der Logik der Abfolge der Trancezustände der Abschluss “resolution” bringen soll, ist schwer zu glauben. (MG)

Label: Sacred Bones