CRETA: s/t

Bis vor einigen Jahren kannte man Massimo Pupillo vor allem als Bassist der römischen Jazzcore-Formation Zu, und schon zu der Zeit kam es immer wieder zu originellen Zusammenarbeiten mit Musikern wie Dälek, Damo Suzuki oder Current 93, um nur einige zu nennen. Seit einiger Zeit spielt der Musiker auch außerhalb seiner Stammband in immer wieder neuen Konstellationen, und wenn man seine Arbeiten mit Oren Ambarchi und Stefano Pilia, in der Band Laniakea und jüngst mit Thighpaulsandra als Uruk vergleicht, zeichnet sich ein Interesse an Ambient- und Drone-Arrangements als der vielleicht wichtigste rote Faden ab.

Wer glaubt, das Namedropping wäre hier zuende, hat noch nicht mitbekommen, dass Pupillo längst ein weiteres Kind aus der Taufe gehoben hat, namentlich Creta, bei dem es sich um ein gemeisames Projekt mit dem Electronica-Spiezialisten Luciano Lamanna (über dessen Divus-Projekt mit dem Zu-Saxophonisten Luca Te Mai wir berichteten) und dem an vielen Saiteninstrumenten geschulten Folkmusiker Roberto Zanisi handelt. Das alles klingt nach einem ziemlich gewagten Hybriden, und ein solcher ist bei dem Debüt auch herausgekommen.

Etwas in seiner Unbestimmtheit bedrohliches liegt in der Luft, wenn “…And Everything That Shines”, wie es sich für einen auslandenden Ambient-Auftakt gehört, wie ein großes, dunkles Objekt durch einen hallenden Raum auf einen zuschwebt. Das Spannungsgefüge aus klanglicher Wärme und beigemischten glockenartigen Details setzt auf subtile Veränderungen, und an der beunruhigenden Stimmung ändert auch der Downtempo-Beat nichts, der sich irgendwann dazugesellt. Das coole, relaxte, an Slideguitar erinnernde Saitenspiel tritt ganz plötzlich auf den Plan, und doch hat man das Gefühl, als hätte es genau auf seinen Moment gewartet. Schwül und leicht dem Blues zugeneigt, bringt es ein Moment des Erdigen, Folkigen hinein, bis es von dischtem Rauschen und allerlei digitaler Vibration verschluckt wird und sich in das Mosaik der Soundscapes fügt.

In ihrer Selbstbeschreibung nennen Creta auch Coil als Bezugspunkt, und bei dem mysteriösen Gluckern am Ende des Tracks hatte auch ich diese Assoziation, gleichwohl Creta zunächst klarer, weniger “psychedelisch” ansetzen. Noch mehr konnte ich den Bezug beim zweiten Stück “Babe in the Egg of Blue” heraushören, denn in den analogen Spielereien mag man das Echo abgespaceter Coil-Arbeiten wie “Sex with Sun Ra” hören. Dieses Stück verdient die etwas überstrapazierte Vokabel “vielschichtig” voll und ganz, denn hier scheinen sich verschiedene Strukturen mit ihrem jeweils eigenen Tempo zu überlagern, und die tastenden, zirkulären und nach vorn strebenden Bewegungen der Synthies, Bässe und Fingerpickings, die sich so leicht in die Quere kommen könnten, greifen bestens ineinander. Das abschließende “Future Humans In Form Of Aur” entpuppt sich als noch atonaler und schräger, ein völliges Hin und Her verschiedener Geschwindigkeiten, Kontrapunkte aus spacigen Drones und stimmungsvollen Geigen und ein furioses Lautenspiel lässt eine Gleichzeitigkeit in der Veränderung entstehen, der man sich irgendwann einfach nur ausliefert.

Creta hat m.E. tatsächlich zwei besondere Stärken, nämlich zum einen ihr ungewöhnlich vielschichtiger Umgang mit Zeit, zum anderen die gekonnt zwischen Kontrast und Verschmelzug interagierende Verwendung elektronischer und folkig-mediterraner Instrumentierung, wobei Zanisis Repertoire aus italienischen, griechischen, türkischen und albanischen Saiteninstrumenten viel Abwechslung einbringt.

Ich musste bei der Beschreibung, aber auch an manchen Stellen des Albums, an Leo Maury denken, der unter dem Namen Niedowierzanie schon seit einem Jahrzehnt mit einer Mischung aus ambienter Elektronik und mediterraner Akustik brilliert und damit – weit unter der Wahrnehungsgrenze der hohen Herren von The Wire und CTM – kleine Bars und Clubs verzaubert. Doch ein solcher Stilmix ist wertvoll genug, um durchaus von weiteren Musikern mit geprägt zu werden. Creta machen dies auf ganz eigene überzeugende Art, und es ist nicht das ersten Projekt mit Pupillo, bei dem ich offen auf eine Fortstetzung hoffe. (U.S.)

Label: Karlrecords