LANIAKEA: A Pot Of Powdered Nettles

Es gibt Platten, die in musikalisch-textlicher Hinsicht eine solche Reichhaltigkeit und Tiefe aufweisen, dass ihr Charisma ganz ohne einen besonderen Hintergrund auskommt. Erfährt man dann doch etwas über die Raison d’Être eines solchen Albums, bekommt man eine Ahnung, woraus sich diese Fülle speist. Im Fall von „A Pot of Powdered Nettles“, dem Debüt des aus Daniel O’Sullivan und Massimo Pupillo bestehenden Duos Laniakea, ist dieser Hintergrund nicht etwa in theoretischen Überlegungen zu finden, sondern in der Vorgeschichte, die bis in die Spätphase von Coil zurück reicht. John Balance verbrachte seine letzten Monate bei seinem letzten Freund, dem Künstler Ian Johnstone a.k.a. Mr. Todd, und lebte quasi in dessen Haus in Tottenham im Norden Londons.

Johnstone hatte vielseitige Interessen, getaltete Cover von Coil und anderen Bands, war außer Künstler noch Imker, zudem sammelte er okkulte Gegenstände und allerlei Kuriositäten, und nach Balance Tod befand sich sicher auch einiges aus dessen Nachlass in seinem Haus. Dieses hatte immer eine offene Tür für befreundete Künstler und Musiker, und war jemand in Not, konnte er dort auch ein provisorisches zuhause finden. Einer dieser Freunde war der Musiker Daniel O’Sullivan, der in Bands wie Mothlite, Guapa, Æthenor, Grumbling Fur und Ulver spielte, und nachdem im letzten Jahr auch Johnstone verstarb, war er es, der sich um die Hinterlassenschaften kümmerte.

Dass daraus, aus der Trauer, dem Ordnen von Gegenständen und der Zeit in Johnstones Haus ein Album hervorgehen sollte, war nicht geplant, es ergab sich beinahe wie von selbst, als O’Sullivans Freund Massimo Pipillo, Bassist u.a. bei Zu und Ardecore, auf einen Besuch vorbeikam und man sich gemeinsam all den starken Emotionen hingab. Irgendwann floss all dies in eine ganz neue kreative Bahn, und die Band Laniakea war geboren, ein Projekt, das sich ganz dem Channeln und Umwandeln starker emotionaler Energien verschrieben hat.

„A Pot of Powdered Nettles“ ist ein Album voller Melancholie geworden, das gleichzeitig vor Kraft und Schönheit geradezu übersprudelt, ein Amalgam aus verwaschenen Soundbrocken, Song-Ansätzen im Downtempo und jeder Menge etherischer Schönheit, das nie ganz zu einer Einheit verschmilzt, und dessen Stimmung Himmel und Hölle eher überblendet, als sie ineinander aufzulösen. Im eröffnenden „The Contagious Magick Of The Superabundance“ klingen in den Ritzen monumentaler Dröhnwellen pittoreske Regenfälle an, und ätherische Chorgesänge und sanfte Melotron-Passagen erreichen mit einfacher Klangrhetorik eine große, sich graduell steigernde Intensität, die mit Pupillos Bassknarren in einem lodernden Brand gipfelt.

In allen vier Stücken offenbart ich über lange Strecken ein Widerstreit zwischen Lieblichem und rauer Dunkelheit, und lange Drones, deren Richtung immer vage bleibt, halten zusätzliche Spannung aufrecht. Dennoch entsteht der Eindruck, dass in all dem Harmonie und das Gefühl vom Linderung am Ende obsiegt. In „The Sky is an Egg“ winden sich aus infernalischem Rauschen und einer Vielzahl erratischer Streicher Pupillos gedämpfte Akkordfolgen heraus, und die entspannte, eher fragile Stimme O’Sullivans erreicht auch hier im glühenden Aufruhr die Verwandlung ins Schöne. Ähnlich „Zone in Parallel Rose“, das schrägste, zugleich aber auch am ehesten songorientierte Stück des Albums, bei dem sich die Echolalien verrückter Frauen und bedrohlich ratternde Takte in ein „kosmisches“ Vokalstück verwandeln. Auch hier füllt O’Sullivan alles mit einer Trauer, die einer diffusen Hoffnung Raum gibt.

Doch „A Pot…“ hat wenig von einer Schnulze mit einem simplen Happy End, und so wirft einen das ausladende „Calcite“ ein weiteres mal in einen undefinierbaren emotionalen Strudel. Freilich, das liebliche ist hier noch durchgehender präsent, in den Vocals des von Coils „The Ape of Naples“ her bekannten Contertenors Francois Testory, im Bimmeln von Glöckchen, aus denen sich pastorale Akkorde herauswinden, in den entrückten Klängen einer asiatischen Flöte, doch Dinge irgendwo zwischen Verfremdung und Realitätsschock sind nicht weit, wenn es quietscht und schleift, wenn ein Kind unverständliches auf einen AB spricht und einmal mehr wenn Pupillio seinen abgründigen Bass knarren lässt.

Wenn diese musikalische Wunderkammer eines kann, dann eine Vorstellung davon zu geben, welche Wunderkammer Johnstones Kosmos gewesen sein muss, idyllisch, aber – etwas profan gesprochen – mit Ecken und Kanten, bei der Schalk und comic relief hinter zahlreichen Kuriositäten hervorlugen. Letztlich eine liebevolle Hommage, die – natürlich primär wegen des Bezugsg zu John Balance – auch in einem Atemzug mit Myrninerests „’Jhonn’, Uttered Babylon“ genannt werden kann. (U.S.)

Label: House of Mythology