AIDAN BAKER / GARETH DAVIS: Invisible Cities

Wenn ein Album durch Titel und Hintergrundinformationen auf ein Werk beispielsweise der Literatur verweist, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass die Musik das Buch interpretiert oder im anderen Medium neu umzusetzen versucht. Das Buch kann aber, wenn es nicht völlig quer zur Stimmung eines Albums liegt, einen Zusammenhang stiften, durch den die Musik eine weitere Bedeutungsnuance erhält.

Der bekannte Gitarrendröhner Aidan Baker und der v.a. von Oiseaux-Tempetes her bekannte Bassklarinettist Gareth Davis haben sich zu ihrem ersten gemeinsamen Album „Invisible Cities“ von dem gleichnamigen Roman inspirieren lassen, in dem Italo Calvino den Entdecker Marco Polo auf Kublai Khan, den mongolischen Herrscher über das damalige China treffen lässt. Der Khan ist von den weiten Reisen seines Gastes fasziniert und bittet ihn um möglichst sinnliche Beschreibungen der zahlreichen Städte, die er auf seinem Weg durch Vorderasien durchquert hat. Zeitlebens ein verspielter Fabulierer, lässt Calvino auch die verbreitete Vorstellung anklingen, Polo sei ein Hochstapler gewesen, und die Frage, ob dem Herrscher die für ihn nicht sichtbaren Städte in der Illusion sichtbar werden, lässt er offen.

Vor diesem Hintergrund füllen sich die entspannten, teils meditativ anmutenden, teils aber auch tief melancholischen Soundscapes aus ambienten Dröhnflächen, unverschnörkelten Klarinettenfiguren und knapp bemessenen Field Recordings mit Leben – wenn man sich auf dem Subtext einlässt und die Fantasie die entsprechenden Assoziationen zulässt. Die meisten Passagen des Albums sind von getragener Gangart und von zahlreichen Spannungsmomenten durchzogen, so z.B. wenn der ambiente Hintergrundsound in hektisches Tremolieren gerät oder wenn Davis’ ornamentale Figuren sich vom sicheren Dronefundament lösen, in Sirenenheulen oder freejazzige Sekundenfreakouts münden, und für Momente alles möglich scheint. Bei den dunklen Landeflügen vor in Nebel gehüllten Skylines und dem müden Gang durch düstere Gassen, die man hier in guter alter Doomjazzmanier assoziieren kann, muss das nicht unbedingt etwas Gutes heißen. Meist jedoch sind beide Musiker mit ihren Beiträgen im Einklang, wiegen Ohr und Gemüt in sicherer, mollastiger Abgeklärtheit. In manchen Momenten gerät die Musik so still, dass die Orte eher unhörbar werden – und vielleicht gerade deshalb vor dem geistigen Auge an Konturen gewinnen.

Im dritten der vier Abschnitte verlässt das Motiv der City sogar für einige Minuten den Bereich des Möglichen und manifestiert sich in einer greifbaren Straßenszene. Hier dominieren Aufnahmen von Motoren, Dialogfetzen und andere Klänge rühriger Geschäftigkeit das Bild, das dann auch gleich weniger abgedunkelt erscheint. Da Davis viel mit den Sturmvögeln unterwegs war, könnten die Aufnahmen theoretisch aus Istanbul oder Beirut stammen, doch dazu fehlen mir Informationen. Orientalisches, ganz ohne exotischen Kitsch, klingt aber ganz dezent in einigen der Bläserpassagen an, womit eine weitere Brücke zu den Reisen des berühmten Venezianers am Horizont auftaucht.

Am Ende bleibt der Eindruck eines intensiven Hörerlebnisses und einer für eine erste Kollaboration überraschend runden Sache, der auch diejenigen ein Ohr leihen sollten, die beim Werk des arbeitswütigen Baker nicht ganz zu Unrecht über die eine oder andere Repetition klagen. (U.S.)

Label: Karlrecords