NURSE WITH WOUND: Sinister Whimsey to the Wretched

Es gibt viele Musiker, die aus ungewöhnlichen Alltagsgeräuschen, Stimmen und Zitaten konventioneller Musik wilde und doch stimmige Kollagen fabrizieren, aber eine Nurse With Wound-Platte erkennt man meist sofort – an gewissen tremolierenden Sounds, an schwindeligen Spielereien mit dem Tempo, an dröhnender Paranoia, bizarren Tierstimmen, fiesem Hohngelächter und kreischenden Frauen aus den Stuben einer Nervenklinik, die das Setting eines Jess Franco-Films sein könnte. Solche Markenzeichen kommen in allen typischen Arbeiten Stephen Stapletons und seiner Mitstreiter vor.

Die 2CD „Sinister Whimsy to the Wretched“ ist so ein typisches Werk und ein perfekter Einstieg in die klassische Phase der Band, denn es enthält zwei von Andrew Liles neu gemasterte Releases aus den frühen 90ern, auf denen schon damals ältere Tracks und Auszüge aus frühen, vergriffenen Alben zusammengestellt wurden. Das die erste CD füllende „Sugar Fish Drink“, das 1992 mit dem Untertitel „A Layman’s Guide To Cod Surrealism“ erschienen ist, war ein Tour de Force-Ritt durch die unterschiedlichsten Verrücktheiten der zurückliegenden zehn Jahre. „Cooloorta Moon“, Stapletons Hommage an seine Farm in Irland, eröffnet die Sammlung mit den sechs vielleicht eingängigsten und zugleich hypnotischsten Minuten Nurse With Wound, bei denen Bradford Steers smoothes Saxophon, hüpfende Quietschgeräusche und ein tobender Kuhstall aus unerfindlichen Gründen keinen Gegensatz bilden.

Sperrige Tracks, deren Unterhaltungswert sich erst mit einsetzenden Suchterscheinungen voll erschließt, Stücken wie „Swamp Rat“ (ursprünglich vom 1987er Album „Drunk With The Old Man Of The Mountains“) und das episodische „Creakiness“ dominieren die CD schon von der Länge her, auf ihnen geben sich Zirkusmelodien, aus dem Takt geratene Tribalbeats und mittelalterliche Flötenklänge mit bizarrem Tierbrummen, verrückten Lachkrämpfen und dem Inhalt eines Werkzeugkastens die Klinke in die Hand. Dass Nurse With Wound, die gerade in ihrer Frühphase wie aus der Zeit gefallene Hippies aussahen, durchaus Kinder ihrer Zeit waren und, wenn sie wollten, auch das Idiom des Postpunk beherrschten, zeigen Tracks wie das bedrohlich herankriechende „I am the Poison“ mit dem Bass Tony Wakefords und der Noiserocksong „Brained“ von 1984 (hier im „Unconscious Mix“) mit dem kräftigen Gesang J.G. Thirlwells.

Die zweite Scheibe „Large Ladies With Cake in the Oven“ erschien kurze Zeit später und enthält ebenfalls Stücke, die fast zehn Jahre in die Diskografie zurückreichten, die ältesten erschienen 1984 auf „Brained by Fallen Masonry“ und „Gyllensköld, Geijerstam and I at Rydbergs“, und gerade letztere, die das erste Drittel der CD abdecken, muten wie Objekte aus einer Wunderkammer an, die in einem neuen Raumkontext und anderer Anordnung eine komplett neue Geschichte erzählen – eine Geschichte, deren Plot angesichts hysterischer Schreie, eines Walzer spielenden Barpianos, Zeitrafferspiele und eines knurrenden David Tibet nicht leicht zu erfassen ist. In der Folge begegnet einem Diana Rogerson a.k.a. The Hornet Queen mit einem eigenen Stück von der „Crank /Wisecrack“-7”, Maultrommeln und aufgescheuchte Springteufel in „Red Flipper“, der beschwörend folkige Gesang Laura Callands und einiges mehr in „Glory Hole“, und das Finale gehört auch hier wieder einer funky Version von „Brained“.

Seit Nurse With Wound im letzten Jahrzehnt wieder zu einer Band mit Stammbesetzung zusammengewachsen sind, erleben sie so etwas wie einen zweiten Frühling, dessen Früchte nicht wenig mit den Soundkollagen des Frühwerks gemein haben. Zusammen mit der vor einem Jahr erschienenen „Dark Fat“, die mit live eingespieltem Material die neuere Zeit dokumentiert, kann man sich mit „Sinister Whimsey“ einen guten Überblick über diese Kontinuität verschaffen.

Label: United Dirter