REINIER VAN HOUDT: Igitur Carbon Copies

Wer den Niederländer Reinier Van Houdt nur als Pianisten kennt, der Current 93 in den letzten Jahren im Studio und live unterstützt hat, der hat vielleicht einen etwas (zu) einseitigen Blick auf das Werk van Houdts, schließlich hat er u.a. Musik von Walter Marchetti und Charlemagne Palestine interpretiert und mit Alvin Lucier und Luc Ferrari zusammengearbeitet – eine vollständige Liste seiner musikalischen Partner liest sich wie ein Who’s Who zeitgenössicher experimenteller Musik. Das Vorgängeralbum „Paths Of The Errant Gaze“  wurde auf diesen Seiten beschrieben als „Mix aus unterschwelligen Klavierspuren und wandlungsvoller, durch allerlei Effekte verfremdete[...] Elektronik [...] so schwindelerregend wie das Coverartwork und entsprechend eindringlich.“

„Igitur Carbon Copies“, das auf einem Prosafragment von Mallarmé basierende neue Album, knüpft an den Vorgänger an. Van Houdt über- und bearbeitete den Text des französischen Symbolisten, David Tibet trägt ihn vor. „An Empty Set“ klingt zu Beginn, als rausche das Radio, dann setzt Tibets Stimme ein und nicht nur, weil die Eröffnungszeile „I was woken up in the middle of the night“ an den Anfang von “In A Foreign Land, In A Foreign Town” erinnert, muss man an Current 93s Zusammenarbeit mit Thomas Ligotti denken. Es rauscht und dröhnt, man hört „soft static“ des Radios, dann eine Unterbrechung und eine verrauschte Klaviermelodie setzt ein. Das hat wie der Text, auf dem das Album basiert, fragmentarischen Charakter. Ein Titel wie „Midnight Rorschach“ mit der Kollagierung von Morsecodes (?), Flüstern und Drones, die an „Refusal Of Leave To Land“ von Black Light District erinnern, lässt sich fast schon programmatisch verstehen. „Leaving The Room“ ist etwas melodischer: Im Hingergrund hallende simple Pianofiguren untermalen Tibets Rezitation. Auf „Descent“ hört man Stimmen, Drones, ein Echolot, Zischen, einzelne Klaviertöne, während auf „Riemann Angels“ leicht dissonante Streicherpassagen hinzukommen. “The Numbers”  lässt kaum zu verortende Stimmen über den Äther schallen, “Tomb Ectoplasm“ wird am Ende von Schreien durchzogen. Mit „Spiral” klingt das Album melodisch aus.

Das Album hat durchgängig etwas Phantasmagorisches, Halluzinatorisches, der Hörende fühlt sich (wie) in einen Traum versetzt. Passagen des Albums könnten sich auch auf der Tonspur eines Lynch-Films finden. Zufällig herausgegriffene Textpassagen und Begriffe wie „residue of an unknown sound“, „as if a fog had formed in the dark“ oder „hypnagogic intoxication“ eignen sich ebenso gut zur Beschreibung dieses hervorragenden Albums wie Kurt Wais’ Kommentar über „Igitur“: Hier habe Mallarmé versucht, „der Greifbarkeit etwas [zu] entziehen, um es jenseits von Erzähler und Zuhörer in den Schwebezustand des Suggerierens [...] zu heben“. (MG)

Label: Hallow Ground