Wenige Alben konnten im letzten Drittel der 70er den Rock’n'Roll so überzeugend zu Grabe tragen und zugleich als untoten Zombie seiner selbst wiederbeleben wie “Suicide” von Suicide. Die Hauptzutaten des 77 erschienenen und seinerzeit wenig beachteten Debüts der beiden New Yorker Alan Vega und Martin Rev(erby) sind schnell aufgezählt: Ein monotoner, rhythmischer Synthiesound, der mit oder ohne Taktschläge in nervöser Hypnotik durch ein staubiges Endzeitszenario rattert. Ein ekstatischer Gesang hart an der Grenze zum atemlosen Gestammel. In den Texten dystopische Bilder von Typen aus dem Antihelden-Repertoire der zurückliegenden Jahrzente amerikanischer Populär- und Gegenkultur: Cute, mean, tough, alive, desperate, dead.
Die beiden ersten Songs, “Ghost Rider” und “Rocket USA”, haben mehr als alle folgenden Stücke das im kulturellen Gedächtnis hängen gebliebene Bild des Albums geprägt, das für viele als wichtigster No Wave-Auftakt gilt und definitiv die Brücke zwischen Synthie Pop und Industrial geschlagen hat wie allenfalls frühe Cabaret Voltaire und Throbbing Gristle in ihren songorientierteren Tracks. In den kurz aufblitzenden Bildern cartoonhafter Desperados, die mit Motorrad oder Rennwagen dem Horizont entgegenpreschen, schlägt einem zunächst die futuristische Feier des Dynamischen entgegen, schon wegen des Sounds und Alan Vegas dionysisch-entrücktem Gesangs, der ebenso gut zu einer sumpfig schwülen Rockabilly-Band gepasst hätte. Doch die Brüche in der Utopie sind zu offensichtlich: die bedrogte und vor Ironie triefende Ausweitung alldessen ins Kosmische, der lakonisch zur Kenntnis genommene Tod der “Rakete”, der abtritt wie ein kurz gehypter und schnell vergessener Star.
Deutlicher dystopisch der dritte “Hit” des Albums, das mit seinen zehn Minuten Spieldauer aus dem zwei bis drei Minuten-Schema herausfallende “Frankie Teardrop”: Der Song über einen schlecht bezahlten Fabrikarbeiter, der aus Verzweiflung zunächst seine Familie, dann sich selbst erschießt, endet in der Feststellung, dass wir alle Frankie Teardrop sind, begleitet von immer brodelnderem, sägenderem, obertonreicherem Noise inklusive Hecheln und Todesschrei – einer Lärmorgie, gegen die man sich kaum aufzulehnen wagt.
Während der Schlusstrack “Che” einem schon damals als Erlöserfigur und T-Shirt-Motiv omnipräsenten Commandante, der u.a. auch Anordner von Erschießungen und Befürworter der Bombariderung westlicher Metropolen war, den Heiligenschein vom edlen Haupt reißt – in aller Beiläufigkeit natürlich -, sind die drei restlichen Songs reine – pardon: gebrochene – Rock’n'Roll-Freakshow. “Johnny” lässt erneut den cruisenden Outlaw auftreten, der in vitaler Verzweiflung nach Liebe lechtzt. “Cheree” und “Girl” sind von sleazigen Orgelsounds untermalte erotische Lovesongs an der Grenze zur sexuellen Erschöpfung, gerade so dick aufgetragen, dass man in ihnen ebenso sehr die Bloßlegung von Macho-Klischees als auch die naive Feier ihrer – zumindest gelegentlichen – Harmlosigkeit heraushören könnte. Schade, wie sehr derartige Offenheit für Interpretationen (oder auf schlau: Unterdeterminiertheit) über die Jahre zurückgegangen ist, aber vielleicht ist das auch nur ein Anflug von Nostalgie.
Hin und wieder hört man, dass Suicides Debüt ein paar Jahre zu früh erschienen und deshalb erst zeitversetzt gewürdigt worden sei. Ich denke, dass es gerade zum richtigen Zeitpunkt herauskam und drei bis vier Jahre später in seiner frischen, bruitistischen Unbekümmertheit kaum mehr möglich gewesen wäre. Jedenfalls haben sich – von R.E.M bis M.I.A., von Jesus And Mary Chain bis Merzbow, von Soft Cell bis Mueran Humanos – immer wieder jüngere Bands in unterschiedlicher Form auf das Album bezogen, Suicide selbst bauten bis zum Tod Vegas’ vor drei Jahren immer wieder Songs daraus als Highlights in ihre Shows ein. Jüngst machte einer der Produzenten, der legendäre Soundartist Craig Leon durch ein Album von sich reden. Zeit für ein ordentliches Re-Release, das nun u.a. auf rotem Vinyl mit exklusiven Fotos und einem ausführlichen Text vorliegt. (U.S.)
Label: Mute / BMG