Im Vorfeld der Veröffentlichung des neuen Abums von Brian Williams wurde ein Vergleich zu dem 1989 erschienenen Album „Heresy“ gezogen: „[Much Unseen Is Also Here“] continues the legacy established by ‘Heresy’ and echoes its enthralling narrative arc“. Das ist natürlich eine ziemliche Ansage, ist doch „Heresy“ der Höhepunkt der prädigitalen Ära Lustmords. Dabei trugen zur (mehr als berechtigten) Auratisierung des Werks sicher auch das apokalyptische das Cover zierende John Martin-Gemälde (das sich jeder Londonbesucher einmal in der Tate ansehen sollte) und vor allem auch die Aufnahmeorte bei: So hieß es doch auf der Rückseite, das Album „utilises subterranean location recordings originated within crypts, caverns, mines, deep shelters and catacombs together with meterial of a seismic and volcanic origin“. Diese Art des Aufnehmens ist lange vorbei und Brian Williams zeigte kurz noch auf seiner Instagramseite ein Bild seiner Soundbibliothek, das deutlich machte, dass für die nächsten Jahrzehnte mehr als genug zu bearbeitendes Material vorhanden ist.
In den letzten Jahren gab es das 2016 bei Touch veröffentlichte „Dark Matter“, ein überaus reduziertes Album, “70 Minuten tiefster Schwärzer“ aus den Tiefen des Alls, es erschien mit dem leider nur als Download verfügbaren „Trinity“ Williams’ Auseinandersetzung mit der Atombombe, es gab seinen Soundtrack zu Paul Schraders „First Reformed“ sowie die Kollaborationen mit Karin Park („Alter“) und mit dem Pianisten Nicolas Horvath (das recht atypische „The Fall“). Zuletzt konnte man ihn als Komponisten für das von den Bildern H. R. Gigers inspirierte Horroradventure “Scorn” erleben und hören, wie auf “The Others [Lustmord Deconstructed]” zahlreiche Künstler sich des Albums “[Other]” annahmen.
Verglichen mit „Dark Matter“ ist „Much Unseen Is Also Here“ wesentlich opulenter ausgefallen. Der Opener „Behold The Voice Of Thunder“ ist durchzogen von diesem so typischen tiefschwarzen Brummen, dunke, „donnernde“ Schläge sind zu hören. Dann entwickeln sich nach und nach melodische Passagen, die entfernt an Momente auf „The Monstrous Soul“ erinnern. Hier ist fortwährend die Antizipation der (Be-)Drohung, die dann kommen mag. Ein wenig erinnert mich das Ende des Stücks an Simon Boswells Score zu Richard Stanleys „Hardware“. „An Angel Dissected“ ist eine dunkel-melancholische Klage mit einem wellenartigen An- und Abschwellen, vielleicht in etwa so, als habe Williams Steven Stapletons Dronemeisterwerk „Salt Marie Celeste“ geremixt. Auf „A Shadow Cast Upon The Deep“ meint man, die dunklen Drones habe Williams aus Stimmen geschmiedet. „Invocation Of The Nameless One“ beginnt mit melodischen, an ein Blasinstrument erinnernen Sounds, auf „Their Souls Asunder“ meint man, dunkel singende Stimmen zu hören, die dem Stück einen fast sakralen Charakter geben. Die Sounds am Ende lassen dann an „Heresy“ denken. „Hence Shall They Be Devoured All Of Them“ wird mit Glockenläuten eingeleitet, dann klingt es so, als habe ein Cello als Soundquelle gedient. Schließlich lässt „Other Woes Are Yet To Come“ das Album mit einem mehr als wahren Titel enden.
Das ist vielleicht das melodischste Lustmord-Album seit langem. Wer aufgrund der Titelgebung und Covergestaltung mit dem aus Wayne Barlowes „Hell“-Serie stammenden Bild „Saragatanas Before The Behemoths“ meint, hier sei ein dunkler Metaphysiker am Werk, dem sei gesagt, dass im Innern des Albums eines der berühmtesten Zitate Epikurs zu finden ist, in dem das Epikureische Paradoxon formuliert wird, das die berühmte Frage nach dem Verhältnis von Güte und Allmächtigkeit von Göttern stellt. Auf einem vor etlichen Jahren erschienen Lustmord-T-Shirt hieß es dann auch passenderweise „The only good god is a dead god“. (MG)
Label: Pelagic Records