TOR LUNDVALL: Structures and Solitude

Wie wenige andere Künstler verfolgt der in Neuengland ansässige Lundvall seine Vision(en) auf eine Weise, die mit konsequent nur unzureichend beschrieben ist, denn sowohl visuell als auch musikalisch ist seine Handschrift sofort zu erkennen, erschafft er Bilder und Alben, denen in ihren somnambulen Charakter immer eine gewisse Ambivalenz innewohnt, sind sie doch numinos, scheinen sie dem Hörer bzw. Betrachter oftmals gleichzeitig sowohl ein Gefühl der Geborgenheit als auch des Unheimlichen zu vermitteln. Wenn man soweit geht zu sagen, dass seine bevorzugte Jahreszeit der (ewige) Herbst ist, so könnte man vielleicht von dem Zwielicht als von seiner bevorzugten Tageszeit sprechen, ein Zwielicht, in dem (manchmal) Figuren (ver)einsam(t) in der Landschaft stehen, treten sie in Gruppen auf, tragen sie meistens Masken, sind zwielichtige Geschöpfe.

War vor einigen Jahren auf der neuen Heimat Dais Records ein Boxset namens „The Seasons Unfold“ erschienen, das drei von Lundvalls an den vier Jahreszeiten orientierten Alben plus eine CD mit Tracks, die die Grundlage für das Album „Autum Calls“ waren, zusammenfasste, folgt mit insgesamt 5 CDs nun ein noch umfangreicheres Set. „Structures and Solitude“ enthält die zwei über das frühere und inzwischen nicht mehr aktive Label Strange Fortune veröffentlichten Alben „Last Light“ und Empty City“ sowie die zwei bislang nur auf Vinyl erhältlichen Alben „Sleeping and Hiding“ und „The Shipyard“. Auf dem fünften Album findet sich unter dem Titel „Night Studies“ komplett neues Material.

Sieht man von ein paar von einem verhallten Klavier getragenen Instrumentalstücken („Rust“, „Lost at Sea“) einmal ab, liegt der Schwerpunkt des Albums „Last Light“ klar auf den (manchmal leicht rhythmischen) Stücken mit Gesang: Auf „Storm“, passiert das lyrische Ich leere Bürgersteige und graue Gebäude, auf „Cold“ wird eine Winternacht beschworen, „Blue Room“ thematisiert die dunklen Wolken, die auf der Seele liegen. Trotz der teilweise kargen Instrumentierung klingt entfernt Lundvalls Interesse am Elektropop der 80er an.

„Empty City“ ist dagegen ein instrumentales Album, das von der Stimmung bedrückender als der Vorgänger ist und die fehlenden Vocals vielleicht die leere Stadt illustrieren, eine Stadt mit „Scrap Yard“, in der man glaubt in der Ferne Flüstern/Atmen zu hören („Platform #3“), die „Night Work“ so klingt, als baue jemand in einem alten Stollen Mineralien ab, das Wasser grau ist und die Elektrik summt („Wires“).

Den Arbeiten Lundvalls wohnte in ihrer Traumlogik auch immer ein Moment des Eskapistischen inne und das Album „Sleeping and Hiding“ – das von allen Werken mit seinem dezenten Ambientpop vielleicht das songorientierteste Album ist – illustriert das besonders, ist Introspektion, Rückkehr ins Innere, Emmigration aus einer als feindlich gesehenen Welt („As I rise to face the day, I only wish to hide away“ heißt es auf „Hiding“). Die letzten Zeilen aus „Spring Song“ könnte man auch als Fazit unter das gesamte Werk Lundvalls setzen: „Things aren’t always what they seem/When you’re living in a dream“.

„The Shipyard“ dagegen ist wieder ein instrumentales Album, auf dem eine triste Atmosphäre vorherrscht und letztlich geht es bei Lundvall immer um Atmosphäre, Titel wie „Morning Smoke“, „Under Snow Conditions“,„Tugboarts in Fog“ oder „Grey Rain Ships“ wecken vor dem Auge des Betrachters natürlich eine trübe, getrübte und diesige Welt.

Wer die Alben alle schon besitzt, der wird vielleicht von den Bonustracks gelockt: Es gibt Alternativversionen, Outtakes, ursprünglich für Singles vorgesehene Tracks und eine frühe Demoversion. War Lundvall zwar musikalisch durch seine Zusammenarbeit mit Tony Wakeford auf „Autumn Calls“ einem breiteren Publikum bekannt geworden, auf dem seine Ambientminuaturen durch akustische Instrumente ergänzt wurden, so hatte er, der durchaus zugibt ungern mit anderen zusammenzuarbeiten, danach auf Kollaborationen verzichtet. Auf „Empty City“ gibt es als Bonus eine Version von „Scrap Yard“, auf der Matt Howden – der auch schon auf „Autumn Calls“ dabei war – Streicher beisteuert und eine Version des ursprünglich rein instrumentalen „Early Hours“, auf der Howden den Text fast flüsternd singt. Howdens Beiträge sind eine passende Ergänzung, ändern auch nichts an der Grundstimmung und sind ein gutes  Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit.

Unter dem Titel „Night Studies“ findet sich eine fünfte CD mit insgesamt 18 von Lundvall als „Vignetten“ bezeichneten Stücken, wodurch der Moment des schnellen Komponierens, des Spontanen betont wird – aber gerade diese 18 Tracks sind in ihrem verauschten und verhallten Ambient aus Pianotupfern und wattig-verrauschten Klangflächen fast perfekte traumgleiche Kompositionen. In der Tat ein Soundtrack für einen „Blurred Dream“.

M.G.

Label: Dais Records

Tor Lundvall