HERMETIC BROTHERHOOD OF LUX-OR: Sex and Dead Cities

Wer wie die meisten Auswärtigen die Insel Sardinien aus einem eher touristischen Blickwinkel kennt, denkt sicher zuerst an Sandstrände, felsige Buchten, Ichnusa-Bier und malerische Küstenstädte wie Palau. Wer sich jedoch ins Landesinnere begibt und etwas abseits der üblichen Reiserouten umsieht, wird feststellen, dass die Mittelmeerinsel auch eine räudige Seite hat, in der unverkitschbare Archaik mit trostlosen Ruinen des Industriezeitalters eine Atmosphäre bestimmen, deren ästhetisches Charisma sich einzig dem abgeklärten Auge offenbart.

Hermetic Brotherhood of Lux-Or und das um sie herum gruppierte Trasponsonic-Kollektiv sind in Macomer ansässig, einer ehemals industriell geprägten Stadt zwischen Basalthügeln, einer Stadt, deren halbverwilderte Betonbaracken und verwaiste Militäranlagen eine postapokalyptische Aura haben, das Detroid-Syndrom inmitten einer rauen Landschaft und steinerner Monumente aus prähistorischer Zeit. „Sex and Dead Cities“, das neue Werk der Hermetic Brotherhood ist dieser Seite des Landes, seinem Lebensgefühl und dem Versuch, all dies im Ritus zu transzendieren, gewidmet.

Nach dem vor drei Jahren erschienenen „Anacalypsis“, bei dem der magische Aspekt ritueller Psychedelik im Hauptfokus stand, zeigt sich die Band auf dem Nachfolger von einer dystopisch-lärmenden Seite, die immer Teil ihrer Arbeiten war, oft aber eher aus der Latenz heraus wirkte. Hier gibt sie allen fünf Tracks eine geradezu brachiale Dynamik: Ein infernalisch rauschender Sog zieht einen schon in den ersten Momenten in die Mitte des Geschehens, ein fast gewaltsames Loslassen aller geschäftiger Anhaftungen ist nötig, um nicht an den dunklen Wänden dieser musikalischen Katakombe zu zerschellen.

So manches Sounddetail erinnert an menschliche Stimmen, aber das könnte auch ein subtiles Trugbild sein, hervorgerufen durch die Erinnerung an Brotherhood-Mitglied MS Miroslaws stimmbasierte Arbeit „Organes de la Voix“. Später, im ekstatischen Stöhnen, das sich in „Rivers Flow From Incinerator“ aus den klaffenden Leerstellen des rhythmischen Industrial-Sounds herauswindet, besteht an der menschlichen Signatur kein Zweifel – die sexuelle Lust erscheint hier als Sinngebungsinstanz, welche die Monotonie verzaubert, auf unerklärliche Art, und es ist nicht die einzige Stelle in „Sex and Dead Cities“, die man nur mit dem berühmtesten Wittgenstein-Zitat quittieren könnte.

Hochtöner und andere (bläserartige) Klänge zeichnen sich im lärmenden Strudel von „Ruins and Shell Castings“ ab, bis alles in einen Höllenschlund stürzt, um im von Pauken flankierten Inferno von „Seven Minutes of Nausea“ und „Fear of the Living“ zurückzukehren. Hört man da hektische Stimmen oder gar ein höhnisches Lachen? Eine klare Antwort stünde dieser Musik, die Verfall gekonnt als Prozess darstellt, nur schlecht zu Gesicht. (U.S.)

Label: Boring Machines