WIDOW’S WEEDS: The Corn Queen

Mit ihrer “music from beyond the grave” die vielleicht nicht beim ersten Hören sofort an Zombies erinnert, sind die aus Grey Malkin und den Daughters of Grief bestehenden Experimentalfolker Widow’s Weeds ein gutes Beispiel für das, was Alan Trench einmal “To fuck up tradition” genannt hat – eine durchaus positiv gemeinte Formulierung für Ansätze, musikalische Traditionen eben nicht museal zu verstehen, sondern ihnen durch unerhörte und unerwartete Interpretationen eine neue Vitalität jenseits eines nur noch nostalgischen Grabes zu geben.

Widow’s Weeds, die immer offen für Gastbeiträge sind und zuletzt noch Hidden Velvet als weiteres Mitglied anführten, verknüpfen traditionell überliefertes wie auch daran angelehntes eigenes Songmaterial mit einer Elektronik, die durchaus “groovig” trippelnde Züge annehmen kann und in ihren abstrahierteren Momenten das Songformat immer wieder sprengen. Ein interessantes Merkmal dabei ist, dass all dies nie auf Kosten einer durchaus lieblichen Sanftheit geht.

Eigens geschriebene Songs und Traditionals wie “Long Lankin” oder “Barbara Allen” scheinen bei Widow’s Weeds einen ähnlichen Stellenwert zu haben, und so ist auf ihrer neuen Single (deren limitierte Hardcover-Edition natürlich längst restlos ausverkauft ist) beides zu finden. “The Corn Queen”, dessen Titel schon auf den Kontext eines kalendarischen Zyklus, an dessen Endpunkt die Ernte steht, anzuspielen scheint, ist ein ritueller Ambientfolksong von hauchfeiner Schöngeistigkeit: Feierliches Pulsieren bringt strömemde, glitzernde Ambientwelten in Bewegung, eine sanfte weibliche Stimme schwebt trunken im Raum und ist keineswegs verlegen um die passende Melodramatik. Ratternde Perkussion (laut der Credits von Michael Warren) mischt die von entrücktem Bimmeln erfüllte Szenerie für kurze Momente auf, doch am Lauf der Dinge ändert sie nichts, die Besonderheiten des Stücks bewegen sich innerhalb eins paganen Weltverständnisses. Ganz zum Schluss weitet sich die an ein Jugendstilgemälde erinnernde Momentaufnahme des Textes ins Existenzielle und lässt die Bildwelt von Korn und Ernte für wenige Sekunden wie eine Allegorie auf den Weg allen Fleisches erscheinen.

Mit “Lyke Wake Dirge” ist auf der zweiten Seite ein sehr alter Folksong vertreten, der in der Vergangenheit immer wieder Musiker inspirierte: Pentangle, Steeleye Span, Alasdair Roberts und viele andere interpretierten ihn bereits und das italienische New Wave-Projekt Lyke Wake verdankt ihm seinen Namen. Sein Titel bedeutet Totenwache, und inhaltlich geht es – in einer Weise, die überraschend an das tibetische Bardo Tödrol erinnert – um den Weg, den ein Verstorbener auf dem Weg zum Purgatorium zurücklegt. Widow’s Weeds’ Version sprudelt geradezu über an Details: Verrauschtes Glissando bahnt den Weg für surrende Saiten, schrille Hochtöner und dunkles Rumoren, Streicher schwingen sich empor, und hoch oben im Wind schwebt auch wieder die Stimme. Es ist ihre berührende und gleichzeitig hypnotisierende Gesangsmelodie, die im Zentrum steht, wenn nach etwa einer Minute der “eigentliche” Song beginnt, der wie ein fantastischer Wiedergänger seiner selbst scheint.

Die Musik von Widow’s Weeds ist selbst so ein fantastischer Wiedergänger einer Tradition, die dabei ist, sich immer wieder zu transformieren, und hier tut sie es in einer sehr vitalen Art. Welche Entwicklungen daraus noch entstehen können, mag in den Sternen stehen, aber es bleibt zu hoffen, dass die Band babei noch lange ein Wort mitzureden hat. (U.S.)

Label: Fenny Compton