TOR LUNDVALL: There Must Be Someone

Der Malermusiker Tor Lundvall arbeitet seit Jahrzehnten an einem stilistisch-ästhetischen (im doppelten Wortsinn) unheimlich kohärenten Konzept, seine Musik wurde von ihm vor Jahren als „ghost ambient“  bezeichnet. Diese geisterhafte Musik war mal rein instrumental, dann wieder mit fragil-entrücktem Gesang – wie auch auf den hier zu findenden 5 CDs. Seine Alben auf seinem kleinen Label Eternal Autumn Editions wurden ursprünglich über World Serpent vertrieben, dann gab es einen Zwischenstopp bei Strange Fortune und nun gehört Lundvall seit Jahren zum Stamm von Dais Records, die jetzt gerade nach “The Seasons Unfold”, „Structures and Solitude“ und “Nature Laughs As Time Slips By” mit “There Must Be Someone” sein viertes (verschiedene Alben zusammenfassendes) Boxset veröffentlicht haben.

Drei der hier enthaltenen Alben waren in den letzten Jahren auf Vinyl veröffentlicht worden, zwei auf CD. Ende 2021 erschienen, konnte man hier über „Beautiful Illusions“ lesen: „Lundvall hat seine instrumentale Palette etwas erweitert, wie etwa bei „Love Song“, der fast schon Jazz Noir-Atmosphäre bersitzt und dem man meint, eine gestopfte Trompete schäle sich aus dem Äther heraus „Lonely Boy“ endet mit einer schleppenden Jazzatmosphäre und einem Schuss Martin Denny. Auf „Four Bluebirds“ („I’ve waited for you/I’ve waited for so long/ Flying so high/In the morning sky“) scheint es einen Moment des Glücks zu geben und in den Notizen zum Album spricht Lundvall davon, dass einige der Stücke von Beziehungen handeln und es „themes of tenderness, longing“ gebe.“ „A Dark Place“ ist aus dem Jahr 2018 und damals hieß es hier: „Musikalisch arbeitet Lundvall weiterhin viel mit Hall und Echo. Zu der dezenten Synthinstrumentierung kommen Feldaufnahmen von zwitschernden Vögeln („The Void“), dezenter Bass („A Dark Place“, „The Void“) und pochender Drumcomputer und Gitarre (“Negative Moon“) hinzu. Letztlich ist das eine in ihrer Konsequenz beeindruckende gedrückte und bedrückende Form von Pop – ganz so, als hätten OMD ein Bad in Datura und Tollkirsche genommen.“

Außerdem findet man seine ursprünglich auf Tursa veröffentlichte (passend betitelte) Compilation „Ghost Years“, die verschiedene verstreute Beiträgen der Jahre 1995 bis 2008 enthält. Leider fehlen die auf der Originalveröffentlichung zu findenden Linernotes, die etwas zu den Tonträgern sagen, auf denen die Stücke erstmalig zu finden waren. Man hört die ursprünglich auf einer schönen Picture-7” auf World Serpent veröffentlichten Tracks “Evening” und “Leaves”, das verrauschte „The Falling Snow“ (von dem es eine wesentlich längere Version gibt, die auf „Yule“ zu finden ist) oder das Sol Invictus-Cover „Tears And Rain“.

Dazu kommt das nur auf Vinyl veröffentlichte „A Strangeness in Motion“ von 2019, das den passenden deskriptiven Titel „Early Pop Recordings“ trägt und damit schon einen Hinweis auf den Inhalt gibt. Die innerhalb eines Jahrzehnts entstandenen Songs titulierte Lundvall selbstreflexiv als „naive and youthful relics“, dabei verweisen sie zum Teil auf die Zukunft: „Hidden“ ließe sich ohne die etwas schlecht gealterte Drummaschine vielleicht auch auf einem späteren Album finden. Stücke wie „The Melting Hour“ dagegen hätten damals sicher die oder andere Tanzfläche beschallen können. Noch viel stärker als die Musik antizipieren aber seine Texte die Stimmung und Metaphorik, die spätere Werke prägen sollte, so etwa, wenn man auf „The Clearing“ hört: „Behind the hills, there’s another side/A secret place where the blackbirds cry“. Diese Evokation eines Vogels und eines geheimen Ortes, Gartens, eines hortus conclusus lässt an andere Bilder und Stücke Lundvalls denken (beeichnenderwiese heißt ein Album „Sleeping And Hiding“). Die Zeilen aus dem das Album abschließenden Bonustrack „Where is She?“ („I stare into the night/Across the sea in harvest light“) lassen sich fast schon als Programmatik, als poetologische Verortung deuten.

Mit am interesantesten, da bisher kaum einen größeren Kreis zugänglich gemacht, dürfte das eigentliche Solodebüt „Passing Through Alone“ aus dem Jahr 1997 sein, auf dem sich melancholischer  Elektropop findet, der ebenfalls schon textlich vieles vorwegnimmt: „Cloaked and veiled, throgh fields I run/Watching springtime’s shadow come“, hört an auf “Pollen”. Was Abmischung und Produktion anbelangt, klingt manches etwas holprig, aber trotzdem ist das eine insgesamt schöne Sammlung. Ungewöhnlich ist „Cloaked“, auf dem Lundvall für seine Verhältnisse fast schon fordernd-aggressiv und weniger fragil-entrückt klingt: Das imperativische „Come take a walk/I want to see/I want to watch you passing by“ , das textlich in der Drohung  „I’m close behind“ endet, zeigt eine eher unbekannte Seite. Das treibende, etwas an New Order erinnernde „Poison Symbols“ kombiniert Sprechgesang und E-Gitarre. Aber auch hier findet man das textlich Vertraute: „The sky slams grey upon the world/Autumn’s sickle flag unfurled“. „The outlines of the silent figures passing through the trees“, die auf „The Pathway“ besungen werden, lassen an die schemenhaften Gestalten denken, die viele der Gemälde Lundvalls bevölkern.”Passing Through Alone” zeigt, dass Lundvall sicher Spaß an der Lektüre des gerade herausgekommenen Buches “Listening to the Music the Machines Make: Inventing Electronic Pop 1978-1983″ von Richard Evans haben könnte.

Auch die Besitzer der Originalalben düften dank der auf jeder der 5 CDs versammelten Bonustracks „There Must Be Someone“ zu schätzen wissen. (MG)

Label: Dais Records