JOEL LANE: The Anniversary Of Never

Unter den jüngeren Autoren der weird fiction scheint der 2013 relativ jung verstorbene Joel Lane ein Chronist der Versehrten, ein Archivar des Verlusts zu sein: „Personal loss is an important literary theme and one that I return to quite often“ sagte er in einem Interview, das ich vor zwei Jahren mit ihm führte. Wenn in (s)einem in The Socialist veröffentlichten Text über Noir-Romane Lane davon spricht, dass es sich bei diesen Texten um „literature of despair, paranoia and alienation” handle, dann kann man das zumindest partiell auch als eine Beschreibung seiner Literatur(en) verstehen. Weiterlesen

ROBIN CRUTCHFIELD: Into The Dark Wood

Zum inzwischen fünften Mal widmet sich der ehemalige Dark Day-Musiker seinen „acoustic glissando and drone soundscapes for the daydreamers of the world “, seinen minimalistischen und repetetiven Harfenminiaturen für „fairie folk“, „friends in the enchanted otherworld“ und „hidden folk“, die gerne auch einmal „toadstool soup“ zu sich nehmen. Nach Ausflügen zu Dark Holler und Important Records veröffentlicht Crutchfield seine Reise „in den dunklen Wald“ im Eigenverlag auf seinem Minilabel Nigh Eve Recordings lediglich als Download. Weiterlesen

SLEAFORD MODS: Key Markets

Jüngst noch vom Observer als „one of 2014’s least likely success stories” tituliert, so haben die Sleaford Mods es tatsächlich seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Divide and Exit“ in nahezu jedes Presseerzeugnis geschafft: Von Zeit bis TV Spielfilm preist man das Duo als – so lautet das gäng(st)ige Narrativ –  diejenigen, die den gegenwärtigen Zustand der „sceptered isle“ am genauesten sezieren. Inzwischen haben die Sleaford Mods sogar Glastonbury gespielt (auch wenn es offenbar nicht sehr viel Spaß gemacht hat). Der Opener „Live Tonight“ mit seinem Chor aus grölenden Fans wie auch der Titel scheinen den jüngsten Erfolg zu ironisieren. Weiterlesen

HERBST9: Fragmentary

Das Doppelalbum „Fragmentary“ lässt sich als Livedokument wie auch als eine Art Werkschau des deutschen Duos betrachten, denn die 16 Tracks (inklusive fünf bislang unveröffentlichter Stücke) stammen so in etwa aus jeder Schaffensphase. Der dunkle Ambient, den Herbst 9 seit Ende der 90er auf einer Reihe von Alben gespielt haben, wurde durch Artwork und Titelgebung in Regionen verortet, die zeitlich und örtlich weit entfernt von unserem Habitat sind, Weiterlesen

DEISON & UGGERI: In the Other House

Der Topos des Spukhauses findet sich in den meisten Medien – oder wie es bezogen auf den Film Georg Seeßlen und Fernand Jung formulieren: „Vom verdammten Haus zu erzählen scheint dem Kino von Anfang an aufgetragen.“ In der Literatur hat Mark Z. Danielewski mit House of Leaves vielleicht einen postmodernen Endpunkt gesetzt und in der Musik war es der Ambient, der die Beschallung von Räumen teils im Titel trug (vgl. Brian Eno) und dessen uneheliches Kind das Attribut „Dark“ verwendete, um finsterste, nicht immer ganz klischeefreie Evokationen von unheilvollen Orten zu erzeugen. Weiterlesen

TIMEMOTHEYE & THE SPECTRAL LIGHT: Grave Needs

In einem vor einiger Zeit veröffentlichten Interview sprach Timothy Renner davon, dass das Introspektive von Stone Breath, die Thematisierung von Spiritualität, langsam an einen Endpunkt komme, sich sein Schreiben verändere und er gab zu, dass die politischen Texte, die er mit seinem Crossoverprojekt Albatwitch schreibe, augenblicklich von ihm als „dringender” – vielleicht möchte man sagen “drängender” – empfunden würden. Weiterlesen

CONTROLLED BLEEDING & SPARKLE IN GREY: Perversions of the Aging Savant

Vergangenes Jahr konnte man auf der Facebook-Seite Controlled Bleedings einen Post von Paul Lemos lesen, in dem dieser das Ende der Band verkündete, zu frustriert schien er darüber zu sein, dass das Publikum die vielen musikalischen Ha(c)kenschläge nicht (mehr) mitzumachen schien. Kurz darauf verschwand dieser Post wieder und nun melden sich Controlled Bleeding mit einer Split-CD mit Sparkle In Grey zurück, auf der man den Eindruck hat, mit den hier versammelten Tracks wolle Lemos zeigen, dass er sich um Erwart(ungshalt)ungen und Kohärenz noch immer nicht schert. Weiterlesen

BABY DEE: I Am A Stick

Baby Dee hatte sich in den letzten Jahren – zumindest im Studio – stimmlich etwas zurückgenommen. War ihr letztes Album „Regifted Light“ zum Großteil instrumental, überließ sie auf „State of Grace“, ihrer Zusammenarbeit mit Little Annie, dieser weitgehend das Mikrofon, um schließlich, ganz unter Pseudonym versteckt (was vielleicht ein Grund dafür war, dass das Album kaum medialen Widerhall erfuhr), die Orgel spielte, während Eliot Bates seine Oud zupfte. Weiterlesen

CHARLEMAGNE PALESTINE: Ssingggg Sschlllingg Sshpppingg

Bei einem Künstler wie Charlemagne Palestine besteht immer die Gefahr, dass man sich mehr auf den Überbau als auf das Eigentliche konzentriert, will sagen, dass man ihn auf die Rolle des outsider artists reduziert, auf den skurrilen Mann mit Hut, Cognac und enormer Plüschtier(an)sammlung – von denen einige wie schon bei anderen Veröffentlichungen auch das Cover des unaussprechlich betitelten neuen Albums zieren und das den Eindruck erweckt, hier sei diesen Kinderspielzeugen ein Altar errichtet worden, die Sakralisierung des Profanen also. Weiterlesen

Adventures in atmospheric sound design: Interview mit Joseph Curwen

Das nach einer Figur aus H. P. Lovecrafts Roman The Case of Charles Dexter Ward benannte und in Newcastle upon Tyne beheimatete Einmannprojekt situiert sich selbst im weiten Feld von „Post-Rave Hauntology Rituals and Radiophonic Occult Synth Horror Soundtracks“ (die Genese des Begriffs wird im Interview erläutert), man könnte auch sagen im Spannungsfeld von (ewigen) Drones und melodischen Soundcapes, die inzwischen auch schon mal von Beats durchzogen werden. Dabei sprengen die (meist digitalen) Veröffentlichungen manchmal den Rahmen eines herkömmlichen Tonträgers, etwa dann, wenn Weiterlesen

SHARRON KRAUS: Friends and Enemies, Lovers and Strangers

Sharron Kraus hat in ihrer umfangreichen Diskographie Folk in verschiedensten Ausprägungen gespielt – ob sie als Interpretin ihrer eigenen Stücke „Lieder der Liebe und des Verlusts“ sang oder Traditionals („Songs for the Twins“) interpretierte, selbstgeschriebene („Right Wantonly A-Mumming“) und fremde (wie etwa auf „Winter Songs“ zusammen mit Harriet Earis) die Jahreszeiten thematisierenden Alben aufnahm oder mit Christian Kiefer auf „The Black Dove“ improvisierte, immer konnte man eine Musikerin erleben, die sich musikalischer Traditionen bewusst war – und sie deswegen auch aufbrechen konnte. Weiterlesen

KE/HIL: Zone 0

B. Moloch und W. Herich sind beide seit Jahrzehnten im Bereich atonaler, analoger, oft transgressiver Musik tätig und debütierten als Ke/Hil – eine Wortschöpfung aus den bürgerlichen (Nach-)Namen der beiden – 2010 mit „Hellstation“, auf dem unter dem Motto „Music for the Prekariat“ [sic] die Stadt als desolater Ort des Verfalls (re)präsentiert wurde: Schwarz-weiße Bilder zeigten Unterführungen, die an Gaspar Noés pièce de résistance Irreversible denken ließen, Haltestellen waren außer Betrieb und das Titelstück des Albums war Ke/Hils Interpretation von Monte Cazazzas „Stairway To Hell“ und ließ sich durchaus programmatisch verstehen. Weiterlesen

ANDREW LILES: Cover Girls

Im Vergleich zu Steven Stapleton, den Liles seit Jahren sowohl live als auch im Studio unterstützt, ist letzterer sicher stärker am Song orientiert, an Songs interessiert und hat sich im Verlauf der Jahre an verschiedensten Genres/Musiken abgearbeitet, z.B. Metal. Dabei ist man bei seinen (Re-)Interpetationen vielleicht versucht von Dekonstruktionen zu sprechen, wobei da der semantische Resonanzraum vielleicht zu groß ist. Aber dazu später mehr. Weiterlesen

When the borders become fuzzy: Interview mit Compound Eye

Die beiden Musiker, die sich hinter der Hommage an das Seltsame des Facettenauges verstecken, haben zusammen einen umfangreichen musikalischen Stammbaum: Tres Warren hat mit den Psychic Ills Psychrock eine neue Dimension gegeben und im Kopf der Zuhörenden „Hazed Dreams“ entstehen lassen, Drew McDowall hat mit seiner damaligen Frau Rose Anfang der 80er The Poems gegründet, als Captain Sons and Daughters mit Kara Bohnenstiel akustische und elektronische Instrumente dröhnen lassen und war eine Reihe von Jahren Mitglied von Coil. Als Compound Eye Weiterlesen

PRAIRIE: Like A Pack Of Hounds

Wenn man bedenkt, dass Postrock -wie die Vorsilbe impliziert- (auch) eine Überwindung des als schematisch empfundenen Rock war, ist dessen Halbwertszeit nicht ganz so lang gewesen, führte (natürlich unweigerlich) zu Ermüdungserscheinungen, wie so immer, wenn Genres von der Peripherie ins Zentrum rücken und drängen. Weiterlesen

JOHN CARPENTER: Lost Themes

Sieht man von Bernard Herrmanns – ein Filmkomponist, den John Carpenter in einem Interview einmal als wichtige Inspiration angab – atonalen Violinen für die Duschszene in Psycho ab, so ist die Halloweentitelmelodie im 5/4-Takt vielleicht das bekannteste Stück Musik, das je einen Horrofilm untermalte. Nur wenige Töne genügen, um vor dem geistigen Auge des Zuhörers die Captain Kirk nachempfundene Maske, unter der Michael Myers sein Gesicht verbirgt, erscheinen zu lassen. Ursprünglich mag die Tatsasche, dass der Regisseur seine eigenen Filme scorte, finanziellen Gründen geschuldet gewesen sein („I usually score my films because I’m the fastest and the cheapest.“, bemerkte er einmal lapidar). Dabei lag Carpenters Stärke oftmals in der Reduktion: Weiterlesen

THOMAS KÖNER: La Barca (Complete Edition)

Thomas Köner hat sich allein schon mit seinem Frühwerk einen Platz im Pantheon der Geräuschmusik(er) gesichert, die nun nur digital erhältliche Veröffentlichung „La Barca (Complete Edition)“ wird ein Weiteres dazu beitragen und ist ein wahres Mammutunterfangen: Ursprünglich war „La Barca“ eine Videoinstallation, audiovisuelle Liveperformance wie auch ein Album, das 2009 als CD, 2010 auf Vinyl mit fünf Bonustracks erschien und nun für die digitale Veröffentlichung um weitere fünf, bisher unveröffentlichte Stücke ergänzt wurde. Weiterlesen

ALBATWITCH: If Corporations Are People, Why Don’t They Die?

Man mag manchmal den Eindruck haben, dass Personen, die ein spirituell geprägtes Weltbild haben oder ein Leben führen, in dem Metaphysik keine nur marginale Rolle zukommt, politisch nicht immer besonders scharfsinnig sind. Timothy Renner allerdings, dessen von christlichen und animistischen Ideen geprägte Band Stone Breath im wahrsten Sinne des Wortes die Avantgarde, die Speerspitze des Weird Folk darstellt(e), hatte schon mit seinem mit Brian Magar eingespieltem Albatwitch-Debüt „Only Dead Birds Sing Over the Graves of Fallen Kings“ radikale Kritik an menschlicher Hybris, an naiver Technikgläubigkeit Weiterlesen

ZEITKRATZER: Whitehouse

Als Zeitkratzer vor einigen Jahren erstmals ihre Interpretationen von Whitehousematerial unter dem Titel „Whitehouse Electronics“ veröffentlichten, da konzentrierte man sich auf Stücke aus der Spätphase der Band und verglichen mit früh(er)em Output enthielten diese Stücke in einen etwas größerem Maße konventionelle Strukturen – wenn man die teils vertrackten Rhythmen, die schon teilweise das Nachfolgeprojekt Cut Hands ankündigten, mit solch einem Attribut belegen will (insofern zeugte diese Rezension von ziemlicher Unkenntnis). Weiterlesen