Auch wenn man es nicht immer hört, die Hauptperson dieser Zusammenarbeit ist Keiji Haino mit seiner bis zur Verausgabung beanspruchten Stimme. Was bei der gemeinsamen Performance mit dem Zeitkratzer-Ensemble passiert, ist schwer zu beantworten: Übt die Stimme des japanischen Vokalisten Gewalt aus, oder wird ihr selbst Gewalt angetan? Im Unterschied zu einigen anderen Veröffentlichungen interpretierte das Ensemble um Reinhold Friedl beim Auftritt in der Bochumer Jahrhunderthalle kein schon bestehendes Werk des Künstlers neu, vielmehr nehmen Friedl und seine Musiker eher allgemein Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Reviews
GRAVMASKIN: Volym 1
Laut Eigenangabe verweist der Name der schwedischen Band Gravmaskin auf die Wörter „grave”, „machine“ und „excavator“, die zusammen ein Stimmungsbild dessen zeichnen, was die drei Musiker mit ihrem rein instrumental gehaltenen Psychedelic Hardrock in die Welt setzen – „a mechanical entity fueled by driving beats and haunting melodies, digging tombs in the airy forest, next to a roaring motorway. Something cold and mechanical married to nature and her cycles of life and death.“ Weiterlesen
NOCTURNAL POISONING: Doomgrass
Wie wohl kaum ein anderes Genre ist Black Metal in den vergangenen Jahren Gegenstand zahlreicher akademischer Publikationen geworden und hat sich zu etwas entwickelt, das mit dem Präfix „Post“ versehen, seltsame Hybride hervorgebracht hat, die teils naheligende (Noise, etwa Sutekh Hexen oder Gnaw Their Tongues), teils (wenn auch nur auf den ersten Blick) weniger passende Genres (Bluegrass, siehe Panopticon) miteinander verknüpft haben. Satan und Corpsepaint sind schon lange keine unverzichtbaren Elemente mehr, aber inzwischen ist es noch nicht einmal mehr nötig, eine Gitarre einzusetzen (The Botanist). Weiterlesen
TZII: The Black Pile
Wenn jemand ein Album nach einem schwarzen Haufen oder einer schwarzen Deponie benennt, klingt das erst einmal nicht gut, und genauso ist es von dem belgischen Sound- und Multimedia-Künstler, der sich Tzii nennt, auch gemeint. The Black Pile – das ist der Schrotthaufen, auf dem sich all der Unrat ansammelt, den der Mensch über Jahr und Tag konsumiert hat, um zu werden, was er zu sein glaubt – ein Individuum. Es ist nicht das erste Mal, dass der Musiker sich diesem Thema widmet und seine Konsumkritik mit der Entmythologisierung eines modernen Fetischs, der individuellen Freiheit, kombiniert. Vor einigen Jahren erschien seine EP „Indiviualism“, von der man „The Black Pile“ als eine Art Fortführung verstehen kann. Dass die Weiterlesen
THE MINISTRY OF WOLVES: Happily Ever After
Für viele ist das Wort „märchenhaft“ ein Attribut des Schönen, obwohl Märchen seit jeher umstritten sind. Der Hang vieler Märchenstoffe zu Gewalt und Grausamkeit war schon immer ein Stein des Anstoßes, ebenso die allegorischen Weltdeutungen, die bewusst den Weg des Vorrationalen gehen und die Fantasie der instrumentellen Vernunft vorziehen. Wenn selbst ein so ausgewiesener Experte wie Richard Dawkins – Spezialist für Religion, Biologie und Sozialethik und angeblich der drittwichtigste Intellektuelle unserer Zeit – ihren pädagogisch fragwürdigen Einfluss moniert, scheinen die Barometer heute eher eine märchenfeidliche Stimmung anzuzeigen. Dem steht entgegen, dass Weiterlesen
CONSUMER ELECTRONICS: Estuary English
Während der selbst so apostrophierte „animal response technician“ William Bennett es inzwischen bis in die Tate Modern geschafft hat, mit Cut Hands gern gesehener Gast auf genreübergreifenden Festivals ist und inzwischen auf hippen Labeln wie Blackest Ever Black veröffentlicht, ist der mit einer Arbeit über Burroughs, Ballard und Pynchon promovierte „dirty word specialist“ Best einen etwas anderen Weg gegangen: Seine Auftritte mit Kassengestell, Schmerbauch und inklusive Nippelreiben sind auf eine Art konfrontativ, die ihresgleichen sucht, denn obwohl es natürlich eine Inszenierung ist, ist Bests Bühnenpersona so irritierend und oft abstoßend, dass suspension of disbelief jederzeit möglich ist. Weiterlesen
MAURICE LOUCA: Benhayyi Al-Baghbaghan (Salute The Parrot)
In seiner Geburtsstadt Kairo ist Maurice Louca eine der umtriebigsten Figuren der lokalen Musikszene, die so vielfältig in Erscheinung tritt, dass man kaum noch von Underground reden kann. Mit einheimischen Musikern gründete er Bands wie Alif, Bikya und die Dwarves of East Agouza, dazu kommen zahlreiche internationale Kollborationen und Arbeiten für Film und Theater. Unter dem Titel “Benhayyi Al-Baghbaghan (Salute The Parrot)” erscheint gerade sein zweites “Solo”-Werk, das natürlich alles andere als solo eingespielt wurde. Vielmehr versuchte er in einer zweijährigen Arbeitsphase, seine wichtigsten Weiterlesen
FEE REEGA: Die Entführerin
Nie mehr Schule, nie mehr Gemüse, stattdessen Schokolade, süße Träume und ein Leben fernab all der anderen Deppen, die sowieso nur stören – wer wünscht sich das nicht ab und zu, vor allem wenn er dafür erst einmal von einer so schrägen Gangsterfrau entführt werden muss, wie sie sich in diesem Video auf Tischen und Sofas räkelt. Natürlich ist man dann, zumindest laut Karl Abraham, oral fixiert, aber das ist ebenso wie die Komplementärneurose des kidnappenden Vamps normale Härte in der Welt Fee Reegas, die seit ein paar Wochen ein neues Album draußen hat. Es liegt gleich zweimal vor, auf Deutsch unter Weiterlesen
ROBERT WYATT: Different Every Time (2CD)
Man könnte vielen Best of-Sammlungen den Titel „Different Every Time“ verpassen, denn fraglos haben sehr viele Musiker mit der Zeit markante Wandlungen durchlaufen. Selten jedoch lässt gerade dies die Konstanten des musikalischen Ausrucks und der persönlichen Aura derart deutlich aufscheinen wie bei Robert Wyatt, der in den 60ern als Schlagzeuger und einer der Sänger von Soft Machine debütierte und bis heute feinsinnige Bande zwischen den Gefilden des Prog, des Jazz und sensibler Songwritermusik knüpft. Dabei geht er stets etwas anderes vor als die meisten – gewitzter, freundlicher, bissiger und doch stets genießbar. Auch so kann man den Titel begreifen. Weiterlesen
FAUSTO MAIJSTRAL: s/t
Fausto Maijstral wurde vor vier Jahren in Berlin gegründet, doch die Wurzeln des Drone-Duos sind quasi weltumspannend. Da wäre Will Gresson aus dem neuseeländischen Auckland, der heute in London lebt und schon seit einigen Jahren solo und in Bands wie Palatial spielt. Unseren Lesern vielleicht bekannter ist die Mailänderin DuChamp, deren Debüt “Nar” bei Boring Machines auf Platte erschien und auf unseren Seiten bereits Erwähnung fand. Ihr gemeinsames Projekt, benannt nach einer Figur aus Thomas Pyncheons Roman „V“, kann schon auf eine solide Zahl an Auftritten zurückblicken, jüngst erschien dann auch ihr Debüt auf 250 Vinylscheiben. Weiterlesen
SARAH PEEBLES: Delicate Paths. Music for Shō
Die Shō ist die japanische Ausprägung einer in ganz Ostasien verbreiteten Mundorgel, die vor allem in der höfischen Musik Verwendung fand und einen eher „trockenen“ Klang hat. In früheren Epochen wurde das Holzblasinstrument im Kontext ethnobotanischer Rituale verwendet. Das ist dann auch einer der Gründe, warum die kanadische Musikerin Sarah Peebles und ihre Kollegen seinen Klang nicht nur mit anderen Instrumenten und der menschlichen Stimme zusammenbringen, sondern auch mit Naturgeräuschen verschiedener Art. Weiterlesen
CUT HANDS: Festival Of The Dead
In musikalischer Hinsicht mag man William Bennetts Übergang von Whitehouse zu Cut Hands als fließend betrachten – in einer Hinsicht jedoch hat sich etwas ziemlich abrupt geändert: Seit langem war Bennett nicht mehr so konstant produktiv wie in den letzten fünf Jahren, seit langem schon waren die Abstände zwischen seinen Releases und Gigs nicht mehr so kurz wie in den Zeiten des sogenannten Afro Noise. Zum Teil mag das damit zusammen hängen, dass Bennett nun eine lange gesuchte ästhetische Form gefunden hat und die Kreativität nur so sprudelt. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass die Arbeitsweise eine grundverschiedene ist. Weiterlesen
WEYES BLOOD: The Innocents
So fragwürdig es auch scheinen mag, ein Album mit einem einzigen Wort zu charakterisieren, kann ich mich doch im Fall von Weyes Bloods neuer LP diesem Reiz nicht entziehen, und der entsprechende Begriff ist noch dazu heikel: nostalgisch. Heikel deshalb, weil dem Wort gerne das Klischee der Rührseligkeit, des weltfernen und eher schädlichen Schwelgens im Verlorenen angehängt wird. Dies sicher zu Unrecht, denn es gibt durchaus gehaltvolle Formen emotionaler Aufarbeitung des Vergangenen. Das vorliegende Album macht dies gerade vor. Weiterlesen
HÅKON STENE: Lush Laments for Lazy Mammal
Denkt man an klassische Experimentalmusik, v.a. an solche mit dem Typenschild “zeitgenössische Avantgarde”, kommen einem in der Regel eher Amerikaner als Briten in den Sinn, vielleicht weil Komponisten wie John Tilbury, Laurence Crane oder Gavin Bryars etwas später als Cage und Feldman auf der Bildfläche erschienen sind und bis heute konzeptuell dezenter zu Werke gehen. Die britischen Contemporaries entwerfen von westlichen Tonsystemen entkoppelte Klangobjekte, die meist ohne Atonalität oder die Herausforderungen harscher Alltagsgeräusche auskommen. Weiterlesen