WALKER PHILLIPS: My Love Sunday

Plötzlich taucht scheinbar aus dem Nichts ein grandioses Album auf, das völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint: Walker Phillips schaut auf dem Cover als melancholischer Hippie so aus, als sei mit einer Zeitmaschine aus dem Haight- Ashbury der 60er gekommen – vielleicht hat er aber auch gerade bei Lord Summerisle vorbeigeschaut. Diese ganze Ambivalenz spiegelt sich auf „My Love Sunday“ wider, einem wunderschönen (Folk-)Album, auf dem sich Gegensätze sowohl innerhalb einzelner Stücke als auch zwischen den Songs zeigen (und vielleicht auflösen). Weiterlesen

DANIELA ORVIN: Home

Für die deutsch-israelische Künstlerin Daniela Orvin waren Ortswechsel lange ein normaler Teil ihres Lebens. Geboren in Berlin führten Familienumzüge und später Studienaufenthalte sie an verschiedene Orte in Israel, England und Deutschland, heute lebt sie dann auch wieder in Berlin. Seit vielen Jahren beackert sie mit Malerei, Klavierspiel und elektronischer Musik zudem mehr als nur ein kreatives Feld,  was vielleicht ebenso zu einem Gefühl beiträgt, eher zwischen den Orten zu leben. Weiterlesen

J.H. GURAJ: Steadfast on our Sand (Music for a Documentary Film by ZimmerFrei)

Im niederländischen Wattenmeer, zwischen Ameland und Vlieland, liegt die längliche Insel Terschelling, die für ihre ausgedehnten Strände ebenso bekannt ist wie für ihren Artenreichtum und die auf eine lange Tradition zurückblickende Landwirtschaft. In der Nordsee-Region gilt sie als eine der Hochburgen des Organic Farming, und doch hat sich das Leben dort noch einiges von seiner Urtümlichkeit und seinen alten Bräuchen erhalten. Vor drei Jahren hat das Dokumentarfilmer-Kollektiv ZimmerFrei ein intimes und weitgehend wortloses Porträt des Ortes und seiner Weiterlesen

CÉLI LEE / MU: A Journal of Transform

Céli Lees Musik dröhnt so einlullend und subtil wie sanftes Abtauchen in eine Welt der Träume. Entspanntes Saitenpicking in sehnsüchtig entrückter Tonfolge erinnern an ambienten, wortlosen Dreampop – auch dann, wenn Feedback und Delay jedes Motiv früher oder später im Abstrakten auflösen, und in den ruhigsten Momenten musste ich sogar an Michael Cashmores „Sleep England“ denken. Das stimmungsvolle Rauschen von sanft angeschlagenen Becken gibt dem Downtemposound einen Hauch von Dark Jazz. Weiterlesen

WILLIAM BASINSKI / LAWRENCE ENGLISH: Selva Oscura

Mit vielen seiner Veröffentlichungen hat William Basinski die Grenzen von alten Arbeiten und neuen Kompositionen verwischt. Sein extensives Archiv mit Tapeloops aus den frühen 80ern dient ihm immer wieder als Klangmaterial für seine Kompositionen (zuletzt noch auf seiner Hommage an David Bowie).  Keine seine Arbeiten hat mehr Resonanz erfahren als die vier Teile von „The Disintegration Loops“, die es inzwschen sogar bis ins New Yorker 9/11-Memorial geschafft haben. Weiterlesen

THE VEGETABLE ORCHESTRA: Green Album

Auf dem neuen Albumcover des in Wien lebenden Vegetable Orchestra prangt passend zur Jahreszeit ein dicker Kürbis, allerdings ist auf dem “Green Album” kein zu spät gekommener Helloweenspuk zu hören, sondern ein buntes Potpourri an launig angejazzten Ethnoklängen, die einen rund um den Erdball jagen, von den Anden über die Südsee bis in den Nahen Osten und den grünen Gürtel des “dunklen Kontinents” – nicht ohne kleine Abstecher in die urbanen Zentren der westlichen Welt. Weiterlesen

ACEZANTEZ: s/t

Als der Komponist Dubravko Detoni 1970 das Kollektiv Acezantez ins Leben rief, hatte er v.a. ein Live-Ensemble im Hinterkopf, das experimentelle Arbeiten von z.T. unbeachteten kraotischen Musikern der damaligen Zeit aufführen und somit etwas bekannter machen sollte – der nach etwas eigenwilligem Spanisch klingende Name ist dann auch eine Abkürzung und bedeutet übersetzt “Ensemble des Zentrums für neue Richtungen in Zagreb”. Immer mehr Virtuosen unterschiedlicher Streich-, Blas- und Perkussionsinstrumente beteiligten sich an dem Projekt, und mit der Zeit entwickelte es sich zu einem lokalen Weiterlesen

V.A.: Troum Transformation Tapes

Hommages an das Werk eines Künstlers kann manchmal das Stigma von Festschriften anhängen. Man hat noch einen Text/ein Stück Musik in der Schublade und steuert es bei – egal, ob es irgendeinen Bezug zum jeweiligen Oeuvre hat. Bei den Künstlern, die anlässlich des 20-jährigen Bestehens von Troum auf dieser Doppel-CD vertreten sind, ist dies sicher nicht der Fall, sind doch die meisten Troum und/oder dem Label Drone Records seit langen Jahren verbunden und geben die Linernotes Einblicke in ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Weiterlesen

SLAGR: Dirr

Man muss nicht gleich mit dem Rhizom ankommen und Slagrs neues Werk mit Kafkas Bau vergleichen – Tatsache ist aber, dass das vierte Album der Norweger viele Eingänge hat, und je nachdem, welchen man wählt, kann man sich in ganz unterschiedlichen Geschichten wiederfinden: in einer avantgardistischen Komposition von Bela Bartok etwa, in einem scheinbar monoton auf der Stelle hüpfenden Werk der Minimal Music oder in einem geheimnisvoll verträumten Stück skandinavischer Folklore, das Weiterlesen

TRANS UPPER EGYPT: Tue

Unter den nicht gerade wenigen italienischen Bands mit dem Prädikat “psychedelisch” beanspruchen die Römer von Trans Upper Egypt mit ihren punkig nach vorn preschenden Songbrettern ihr eigenes Terrain, und unter den Fans so unterschiedlicher Kapellen wie Moon Duo, In Zaire und A Place to Bury Strangers gelten sie auch international längst als Geheimtipp. Nach vierjähriger Pause und mit einem neuen Schlagzeuger im Gespann haben sie vor kurzem ein Album eingespielt, das ihren Sound heterogener als je zuvor präsentiert. Weiterlesen

REINIER VAN HOUDT: Igitur Carbon Copies

Wer den Niederländer Reinier Van Houdt nur als Pianisten kennt, der Current 93 in den letzten Jahren im Studio und live unterstützt hat, der hat vielleicht einen etwas (zu) einseitigen Blick auf das Werk van Houdts, schließlich hat er u.a. Musik von Walter Marchetti und Charlemagne Palestine interpretiert und mit Alvin Lucier und Luc Ferrari zusammengearbeitet – eine vollständige Liste seiner musikalischen Partner liest sich wie ein Who’s Who zeitgenössicher experimenteller Musik. Das Vorgängeralbum Weiterlesen

BLOOM OFFERING: Episodes

In ihrem 1991 erschienenen Buch Angry Women stellte Andrea Juno nicht nur die “weibliche Seite der Avantgarde” – so der deutschsprachige Untertitel – vor, sondern legte dabei auch einen dominanten Schwerpunkt auf gesellschaftskritische Ansätze und einen im weitesten Sinne feministischen Widerstand gegen patriarchale Strukturen und Diskriminierung, und nicht zuletzt gegen eine Vorstellung des Weiterlesen

LITTLE ANNIE: Short, Sweet and Dread

Über die Karriere Little Annies existiert die etwas abwegige Vorstellung, dass sie seit ihren Anfängen im Punk mehrfach ihren Stil und ihr kreatives Umfeld wie eine alte Schlangenhaut abgelegt und sich komplett neuen Ausdrucksformen – nach dem Punk zunächt dem Dub und funky Electronica, später dann chansonhafter Songwritermusik zwischen Cabaret und Torch Song – zugewandt habe. In Wirklichkeit gingen all diese Veränderungen Weiterlesen

SPILL: Stereo

Schon seit fünfzehn Jahren werfen Pianistin Magda Mayas und Schlagzeuger Tony Buck bereits ihre Talente unter dem Namen Spill in die Wagschale, und was die Inside Piano-Performerin und der von seiner Stammband The Necks bekannte Jazzdrummer dabei auf die Beine brachten, beeindruckte auch gerade bei Konzerten. Weiterlesen

DAVE PHILLIPS: Ritual Protest Music

Langsam dringt diffuses Zwitschern und Zirpen in den Raum, vermengt sich mit dem gehauchten Atem einer menschlichen Stimme und ein paar weiteren Geräuschen, die schnell die Gestalt von perkusivem Lärm annehmen. Hat man sich erst an das Soundmaterial gewöhnt, verwandelt sich alles in akustischen Treibsand und wirbelt durcheinander, wie es sich für einen Track namens “morphic field” auch gehört. Was zunächst chaotisch erscheint, kommt bei genauerem Hinhören in regelmäßigen Intervallen ritueller Repetition wieder. Man muss Dave Phillips’ aggressive Weiterlesen

TILDAFLIPERS: Muau Muau

Bei den Tildaflipers hat man es mit einer dieser Bands zu tun, die auf den ersten Blick Denkblasen mit großen Fragezeichen hervorrufen: die ungreifbare Mixtur aus minimalistischem New Wave, schwülstigen 70er Jahre-Soundtracks und einer luftigen Produktion mit vielen Dub-Anleihen wirkt genau so obskur wie die vordergründig einfache Produktion, bei der alles unter einer seltsamen Patina verborgen scheint, und die doch Weiterlesen

CURRENT 93: The Light Is Leaving Us All

Im Frühjahr 2014 wurde der nach einer Zeile aus einem Gedicht von John Clare betitelte eigentliche Vorgänger „I Am The Last Of All The Field That Fell” veröffentlicht. Seitdem erschienenen die beiden Alben „The Moons At Your Door“ sowie „The Stars On Their Horsies“, die den Fokus weniger auf den Song als auf das Soundscape richteten. Zudem gab es zwei Seitenprojekte: das mit Killing Jokes Youth eingespielte, opulenter instrumentierte, fast schon orchestral klingende Hypnopazuzu-Album “Create Christ, Sailor Boy” sowie jüngst noch das schon vor einigen Jahren aufgenommene Weiterlesen

HEATHER LEIGH: Throne

In Heather Leighs bisheriger Diskographie nimmt „Throne“ in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmestellung ein, denn es ist ihr bislang poppigstes Songalbum, dass sich vom ungeschliffenen Sound des drei Jahre alten „I, Abused Animal“ ebenso absetzt wie von ihren Zusammenarbeiten mit Peter Brötzmann, bei denen ihr Spiel auf der Pedal Steele-Gitarre einen eher subtilen, hintergründigen Part einnahm. Aber es scheint auch ihr intimstes Werk zu sein. Weiterlesen