Es gibt sicher Angstträume, die von bedrückender Stille sind. Handeln solche Träume vom Krieg, so ist ihnen wahrscheinlich eher eine laute, von schrillem Lärm und heftigen Detonationen durchsetzte Tonspur angemessen. “Harmistice”, dessen Titel ein Wortspiel zwischen “harm” und “armstice” (Waffenstillstand) darstellt, erzählt von solchen Träumen und wählt dazu eine dunkle, über weite Strecken industriell-noisige Klanggestalt. Der eindringlichste Faktor dabei Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Reviews
U.S. STEEL CELLO ENSEMBLE: Noise In The Library
Man sollte sparsam mit einem Begriff wie “legendär” umgehen. Wenn jemand allerdings vor längerer Zeit mit etwas wirklich Ungewöhnlichem beeindruckte und sich seit dem immer wieder rar gemacht hat, ohne vollends von der Bildfläche zu verschwinden, kann man eine Ausnahme machen. Der heute 87jährige Bob Rutman kann eine bewegte Biographie erzählen. Als Kind floh er mit seiner Familie aus dem Weiterlesen
UNICAZÜRN: Sensudistricto
Das aus Stephen Thrower und David Knight bestehende und aus dem Improvisationskollektiv The Amal Gamal Ensemble hervorgegangene Duo veröffentlicht mit „Sensudistricto“ das inzwischen vierte Album. Es ist nach dem 2017 erschienenen „Transpandorem“ das zweite auf Touch (Jon Wozencraft hat dann auch wieder das Artwork gestaltet). Thrower und Knight kombinieren allerlei (analoge) Elektronik mit Gitarre und Blasinstrumenten, um eine Musik zu spielen, die in jederlei Wortsinn kosmisch ist. Weiterlesen
DALRYMPLE: Make Believe
Die im Englischen nicht selten substantivisch gebrauchte Wendung „Make Believe“ bezeichnet eine Täuschung oder Gaukelei, die Erzeugung einer Illusion, eines falschen Scheins. Dabei wird sie keineswegs nur negativ verwendet, was verständlich ist, denn in Vielem ist der schöne Schein weitaus reizvoller als die schnöde Wirklichkeit, die nach Oscar Wilde ohnehin nur ein epigonaler Abklatsch der Kunst ist. Gebrauche deine Fantasie, und es entsteht Realität, wird mancher Magus wohl – sicher in pathetischeren Worten – betonen. Weiterlesen
DENIS FRAJERMAN: Wastelands / Lawrence of Arabia
Es ist vielleicht kein Zufall, dass die vorliegenden Aufnahmen das Licht der Öffentlichkeit in einem April erblickt haben, dem “cruellest month”, der Blumen aus noch toter Erde sprießen lässt und mit seinem Zusammenprall aus Erinnerung und Begehren, aus Morbidem und Vitalem immer wieder empfindsame Gemüter verstört. Mit dieser Beschreibung beginnt T.S. Eliots 1922 veröffentlichtes Langedicht The Waste Land, eine der düstersten Bestandsaufnahmen der Moderne und des verwüsteten Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Weiterlesen
SUTEKH HEXEN: S/T
Seit Jahren finden sich Hybridisierungstendenzen in verschieden(st)en Spielarten (nicht nur) extremer Musik. Dabei gibt es Genres, die eine stärkere Affinität zueinander haben und wo die (musikalisch-thematischen) Anknüpfungspotenziale größer als bei anderen sind. Sutekh Hexen bewegen sich seit etwa zehn Jahren in einem Bereich, in dem sich Power Electronics, Black Metal und Dark Ambient zu einem interessanten Gebräu (ver)mischen, das man als Weiterlesen
V.A.: Das Grubenpferd Sampler Vol. 1
Die merkwürdige Geschichte, die auf der vorliegenden Compilation erzählt wird, spielt sich in einer der vielen Bergbaugruben des 19. oder 20. Jahrhunderts ab, oder vielleicht auch in allen zugleich. Der Kumpel allerdings, der Grubenarbeiter, tritt hier nur als Nebenfigur auf, denn Held und Antiheld sind die zahlreichen Grubenpferde, die zu Transportzwecken in den Untertagebau eingebunden wurden. Tausendfach wurden sie in englischen, französischen und v.a. deutschen Gruben in unterirdischen Ställen gehalten, viele sahen nie das Tageslicht, und Gerüchten zufolge pflegte man sie sogar zu essen – herzhaft gewürzt, in üppiger Marinade und mit Schmorgemüse als Beilage. Aber das führt schon mitten hinein in die Weiterlesen
ALESSANDRA ERAMO: Tracing South
Alessandra Eramo stammt aus einer der südlichsten Regionen Europas, nämlich aus der Stadt Taranto in der italienischen Provinz Apulien. Irgendwann verschlug es sie in nördlichere Gefilde, zunächst zum Studium nach Venedig und Mailand, später dann nach Stuttgart und Berlin. Der Süden – als geografischer und kultureller Ort, aber auch als abstrakte Idee – spielte in der Musik der Vokal- und Klangperformerin jedoch immer eine wichtige Rolle, und so war es fast schon zu erwarten, dass der Weiterlesen
SKELDOS: Ilgės. Caretakers of Yearning
Wenn man wenig empfänglich ist für die abgründige Tiefe melancholischer Ambientmusik, kann man die sanft dröhnenden Kompositionen des Litauers Vytenis Eitminavičius, der seit etwa fünf Jahren als Skeldos firmiert und bereits mit der herausragenden Daina Dieva gearbeitet hat, wie angenehme Entspannungsmusik konsumieren. Die wohligen Droneflächen, die oft in sanften Wellenfolgen nur leicht angestoßen werden, laden durchaus auch zum Loslassen und Schwelgen in Weiterlesen
BROM: Cardboard Sea
Dass Jazz, auch klassischer, generell einen experimentellen, ergebnisoffenen Charakter hat, ist allgemein bekannt. Das Berliner Trio BROM beschreibt sein Zusammenspiel von Saxophon, Bass und Schlagzeug selbst als Versuchsanordnung, v.a. im Konzertkontext: Alexander Beierbach entwirft mit Tenor- und manchmal auch Sopransaxophon ein Set aus verfügbaen Motiven, durchaus nach gängigen Kompositionsprinzipien und doch offen genug, dass die “Ko-Laboranten” Weiterlesen
NONCONNAH: Dead Roses, Digged Up Zombies, Broken Pieces Of Diamonds, Live Cats
Das aus Zachary and Denny Corsa bestehende „doomy dronegaze collective“, das selbst erklärt, „damaged hymns from the broken Mid-South“ zu spielen und seit einigen Jahren in Memphis ansässig ist, veröffentlicht mit „Dead Roses, Digged up Zombies, Broken Pieces of Diamonds, Live Cats“ das zweite Album. In dem Interview, das wir letztes Jahr führten, wies Zach darauf hin, dass „The Gloom And The Glowing“, das erste Album des aus Lost Trail Weiterlesen
O3: Trashumancia
Nachdem O3 nach ihrem vor ganzen zehn Jahren veröffentlichen Debüt nichts mehr unter dem Namen heraus gebracht hatten, kommt ihre jüngst erschienene CD Trashumanicia ziemlich überraschend, v.a. wenn man wie der Verfasser die Zusammenarbeiten des Trios in der Welt des Tanz und des Zirkus und mit verschiedenen Musikerkollegen verpasst hat. Weiterlesen
DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND: Wish I Weren’t Here
In der allgemeinen Vorstellung ist die große Zeit der Psychedelik immer noch sehr an die Hippiekultur mit all ihren Nettigkeiten gekoppelt. Verwegenheit, Wagemut, Machismo und ein Schuss cooler Zynismus haben darin wenig Platz und sind als Kehrseite des Idylls doch wichtige Bestandteile des ganzen Phänomens, das damit ein gutes Stück näher an seine Wurzeln im Rock’n'Roll kommt. Albin Julius und seine Infinite Church of the Leading Hand sind seit einer gefühlten Ewigkeit zweierlei – zum einen Weiterlesen
CURRENT 93: Invocations Of Almost
Als David Tibet und Steven Stapleton vor etlichen Jahren eine gemeinsame Ausstellung ihrer visuellen Werke im Londoner Horse Hospital hatten, wurde eine Doppel-CD veröffentlicht, auf der Musik für die Ausstellung zu finden war. Stapleton überarbeitete später den lapidar „Salt“ betitelten Track, und daraus wurde als „Salt Marie Celeste“ sicherlich eine der stärksten Veröffentlichungen Nurse With Wounds; der Current 93-Beitrag war ein weitgehend instrumentales Weiterlesen
COÀGUL / ESCAMA SERRADA: Sub Luna Regis
Coàgul und Escama Serrada, zwei mittlerweile schon erfahrene Soloprojekte, verkörpern im Unterschied zu Ô Paradis und Comando Suzie den weniger poppigen Teil des geheimen katalanischen Undergrounds. Seit Jahren stehen Marc O’Callaghan und Sergio Mendez im freundschaftlichen und musikalischen Austausch, traten bereits zusammen in einem Film auf, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis ein gemeinsames Projekt entstand. Die vorliegenden Aufnahmen entstanden bereits vor ein paar Jahren und erblickten vor kurzem auf der LP „Sub Luna Regis“ das Licht der Welt. Weiterlesen
KIN LEONN: Commune
Hohe, fast gläserne Pianowirbel, sanft gehüllt in eine Wolke aus Hall, ziehen scheinbar ziellos ihre Kreise. Langsam bummelnd durch elektronische Streicherspheren, energisch suchend im rauschenden Regen. Sanfte Muster zeichnend oder schnell galoppierend vor kryptischen Vokalschnipseln, als beinahe ruhende Tupfer, die in dröhnend hallenden Ambientlandschaften nahezu verschwinden. Weiterlesen
ANGELINA YERSHOVA: Cosmo Tengri
In den letzten Jahren hat die aus Kasachstan stammende Komponistin Angelina Yershova eine ganze Reihe an Alben herausgebracht, die weitestgehend im Grenzbereich zwischen verspielter Elektronik und Klavierkompositionen in der Tradition der melodischeren Minimal Music zu verorten sind. Cosmo Tengri stellt in vielfacher Hinsicht eine Erweiterung ihres Spektrums und eventuell auch einen Richtungswechsel dar, denn nie zuvor war Yershovas Musik Weiterlesen
BLACK TO COMM: Seven Horses for Seven Kings
Man mag es nicht glauben und zunächst für taktische Tiefstapelei halten, aber “Seven Horses for Seven Kings” ist das Resultat einer großangelegten Resteverwertung. Marc Richter, der Mann hinter dem seit Mitte des vorigen Jahrzehnts bestehenden Projekt Black To Comm und nebenbei Chef des Dekoder-Labels, hat nach seinem noch eher ambienten selbstbetitelten Album (Type Records 2014) primär Auftragsarbeiten angewandter Musik produziert. Aus all denjenigen Passagen, die dafür Weiterlesen
ORDEAL BY ROSES: s/t
Vor einigen Monaten erschien im Schweizer Kein und Aber-Verlag eine Neuübersetzung von Yukio Mishimas autobiographischem Roman Geständnisse einer Maske. Wer dort liest, wie das Erwachen (homo)sexuellen Verlangens und die Verknüpfung von Sexualität mit Gewalt(fantasien) und Tod thematisiert werden, der braucht nicht mehr das Werk Freuds und Batailles zu bemühen. Weiterlesen