BABY DEE: I Am A Stick

Baby Dee hatte sich in den letzten Jahren – zumindest im Studio – stimmlich etwas zurückgenommen. War ihr letztes Album „Regifted Light“ zum Großteil instrumental, überließ sie auf „State of Grace“, ihrer Zusammenarbeit mit Little Annie, dieser weitgehend das Mikrofon, um schließlich, ganz unter Pseudonym versteckt (was vielleicht ein Grund dafür war, dass das Album kaum medialen Widerhall erfuhr), die Orgel spielte, während Eliot Bates seine Oud zupfte. Weiterlesen

URNA: Devours Me

Wer im letzten Jahr gut aufgepasst und die Ohren nach gutem Ambient offen gehalten hat, dem ist sicher Urnas „Couchemar“-Tape nicht entgangen, auf dem Mastermind Gianluca Martucci doomige Schwere mit dem archaischen Flair des Rituellen zusammenbrachte, um, wie er sagte, Alpträume zu exorzieren. Dass sich Elektronisches und raue Gitarrenklänge die Waage halten, mag ein Grund sein, warum Urnas dröhnende Soundscapes nie nach Gruftieambient klingen. Weiterlesen

REINHOLD FRIEDL: Golden Quinces, Earthed For Spatialised Neo-Bechstein

Die meisten verbinden Reinhold Friedl mit seinem Ensemble zeitkratzer. Weniger bekannt ist, dass der Dirigent von Haus aus Pianist ist und auch in dem Bereich einige Kollborationen und Soloalben vorzuweisen hat. Sein Faible gilt Inside Piano-Techniken, mit denen er sich längst einen eigenen unberechenbaren Stil erarbeitet hat. Für seine jüngst veröffentlichte Arbeit hat er sich nicht zum ersten mal ein Instrument ausgesucht, für das er seit längerem ein besonderes Interesse hegt, nämlich den raren Neo Bechstein-Flügel. Weiterlesen

STEPMOTHER: Calvary Greetings

Vor zehn Jahren, als es Cabaretbands mit Vintagefimmel bis in die Feuilletons geschaft hatten und alle Zeichen auf Weird und Lowbrow standen, hätte man Stepmothers „Calvary Greetings“ glatt für ein hippes Retroding halten können – das wäre dann Alfred Bohlands Schuld gewesen, der das Cover der Platte nebst Booklet mit hundert Jahre alten Kuriositäten in Schwarzweiß und Sepia geschmückt hat. Eine kurze Hörprobe reicht, um festzustellen, dass nostalgischen Erwartungen hier mit einer saftigen Ohrfeige quittiert werden. Weiterlesen

MAI MAI MAI: Petra

Als Toni Cutrone alias Mai Mai Mai vor ein paar Jahren im Umfeld des römischen Experimental-Underground auftauchte und zu seiner musikalischen Reise durch ein mediterranes Altertum aufbrach, konnte man das ganze noch als liebenswürdiges Fake betrachten, war die verspielte und zugleich kühl-analoge Musik doch recht nah an damals gerade gehypter Retro-Electronik Marke Chill Wave angesiedelt, und die Oddysse durch das östliche Mittelmeer als Hintergrundgeschichte klang verdächtig nach einem Nerd, der gerade in seinen verblassten Erinnerungen an den Griechisch- und Lateinunterricht herumkramt. Weiterlesen

CHARLEMAGNE PALESTINE: Ssingggg Sschlllingg Sshpppingg

Bei einem Künstler wie Charlemagne Palestine besteht immer die Gefahr, dass man sich mehr auf den Überbau als auf das Eigentliche konzentriert, will sagen, dass man ihn auf die Rolle des outsider artists reduziert, auf den skurrilen Mann mit Hut, Cognac und enormer Plüschtier(an)sammlung – von denen einige wie schon bei anderen Veröffentlichungen auch das Cover des unaussprechlich betitelten neuen Albums zieren und das den Eindruck erweckt, hier sei diesen Kinderspielzeugen ein Altar errichtet worden, die Sakralisierung des Profanen also. Weiterlesen

ARDECORE: Vecchia Roma

Auch wenn das Covermotiv vielleicht etwas anderes suggeriert, ist mit dem alten Rom, das Ardecore in ihrem dritten Studioalbum besingen, nicht die antike Weltstadt gemeint, sondern das Rom des frühen 20. Jahrhunderts. Ardecore haben in Deutschland bislang nie wirklich Fuß gefasst, obwohl sie in ihrer italienischen Heimat eine bekannte Größe sind. Seit Jahren stehen sie bei einem großen „Indie” unter Vertrag, ihr Name fällt in einheimischen Feuilletons und prangt von glänzenden Titelseiten, einzelne Mitglieder standen bereits mit Leuten wie Mike Patton und Peter Brötzmann auf der Bühne. Weiterlesen

PACIFIC 231 & BARDOSENETICCUBE: The Traditions Of Changes

Wenn zwei Musiker einen völlig konträren Ansatz verfolgen, kann eine Kollaboration zu ungewöhnlichen Ergebnissen führen oder grandios scheitern. Nur eines ist sie niemals: vorhersehbar. Igor Potsukaylo alias Bardoseneticcube ist nach eigener Einschätzung der geborene Surrealist, der sich von seinen Ideen und Assoziationen eher treiben lässt, vergleichbar einem Schreiber der ecriture automatique, der seiner Feder und den Worten freien Lauf lässt. Pierre Jolivet alias Pacific 231 ist Komponist, der dem Soundmaterial begegnet wie ein Bildhauer seinem Steinblock, wenn er schon längst die Idee des künftigen Werks vor Augen hat. Einer fürs kreative Chaos also und ein anderer, um ebendies in eine verdauliche Form zu bringen. Weiterlesen

FUTURE BROWN: s/t

Ein gelungener musikalischer Hybrid oder einfacher ausgedrückt eine gute Stilmischung erkennt man daran, dass die einzelnen Komponenten zwar an vielen Stellen miteinander verschmelzen und überraschend Neues zutage tragen, sich dabei aber keineswegs in einem assimilierten Einheitsbrei auflösen. Visionen dieser Art sind seit Jahren aktuell, und die virtuosesten Resultate finden sich im Bereich elektronischer Producer-Musik. Am Debüt des Allstar-Projektes Future Brown werden sich die Geister scheiden. Alle, die sich unter Weiterlesen

V.A.: Songs For A Child – A Tribute To Pier Paolo Pasolini

Dass der Regisseur und Autor Pasolini so unterschiedliche Fans hat und einen Rattenschwanz an verschiedensten Interpretationen und Vereinnahmungen hinter sich herzieht, ist sicher auch seiner eigenen schwer greifbaren Position geschuldet. Dass er zugleich Katholik, Kommunist und bekennender Schwuler war, ist meist das erste, was man über ihn hört, doch auch jede dieser drei Eigenschaften für sich verkörperte er auf jeweils untypische Art. So bekannte er sich auch nach seinem Parteiaustritt – er wurde wegen seiner Homosexualität geschasst – zu kommunistischen Ideen, gleichwohl seine konkreten Ansichten eher kommunitaristisch oder anarchistisch anmuteten, wenn sie nicht ohnehin eher der katholischen Soziallehre ähnelten. Sein Weiterlesen

KRENG: The Summoner

Es sind schon viele Alben aus Trauer entstanden, und viele handeln von der Trauer um eine geliebte Person. Alben, die das Trauern als solches zum Thema haben, sind seltener. Das könnte damit zu tun haben, dass die Frage nach den Mechanismen des Trauerns sehr theoretisch anmutet, aber sie ist auch komplizierter als man vielleicht denkt, denn eine Trauer, die sich weder in die Verdrängung noch in Selbstmitleid flüchtet, erfordert Leidensfähigkeit und ist keineswegs eine passive Angelegenheit. Weiterlesen

SIELWOLF & NAM-KHAR: Atavist Craft

Auch wenn mit Sielwolf und Nam-khar keine krassen Gegensätze aufeinanderprallen, sind die beiden im Raum Frankfurt ansässigen Projekte doch verschieden genug, um eine wenig vorhersehbare Kollaboration auf die Beine zu bringen. Die seit den späten Achtzigern aktiven Sielwolf fröhnen einem sperrigen Stil, der zwischen industriellen Soundscapes und derbem Crossover rangiert und auch aus den späteren Ambientarbeiten (z.T. veredelt von Mick Harris) nicht verschwunden ist. Das Kollektiv Nam-khar spielt einen rituellen Ambientsound, der wesentlich harmonischer angelegt ist und die Hörer eher durch Sogwirkung und atmosphärische Dichte herausfordert. Wo Sielwolf vertrackte Rhythmen und Weiterlesen

SIX ORGANS OF ADMITTANCE: Hexadic

Die Diskographie von Six Organs of Admittance war schon immer von Veränderungen bestimmt und oszillierte zum einen zwischen folkigen Akustiksongs und lärmigem Feedback, zum anderen zwischen Lofi und Aufnahmen von fast indietauglicher Qualität. Was dann so unterschiedliche Platten wie „Dust & Chimes“, „The Sun Awakens“ oder „Shelter from the Ash“ verband, war der Hang zur Improvisation und der damit verbundene Verzicht auf allzu gute Arrangements, die locker gespannten Gitarrensaiten und einige Eigenschaften mehr, die dutzende von Schreibern dazu bewogen, auch hier den Begriff „Psychedelic“ zu verwenden. Weiterlesen

DÄLEK: From Filthy Tongue of Gods and Griots

Fraglos könnte ein Hiphop-Kenner ganz andere Sachen zu diesem lange vergriffenen Klassiker sagen, und gut möglich, dass es andere Alben dieser Art gibt, die mich ähnlich oder mehr beeindruckt hätten, wäre ihnen ein ebensolcher Sprung über szeneinterne Wahrnehmungsgrenzen gelungen wie Dälek mit ihrem Zweitwerk, das kurz nach der Jahrtausendwende auf Mike Pattons Ipecac-Label erschienen ist. Schnell war die Combo aus Newark, New Jersey, in aller Munde, kollaborierte mit „exotischen“ Bands wie Faust und Zu. Während die regulären Alben meines Erachtens immer noch Weiterlesen