DAVID E. WILLIAMS: Trust No Scaffold Built Of This Bone

David E. Williams taucht zuverlässig in jedem Dark Folk- und Dark Cabaret-Kanon auf und liegt konsequent quer zu allen Standards solcher Musik. Gleich zweimal das Wort „dark“ in den ersten Satz zu packen war nicht einmal beabsichtigt, aber als allgemeines Attribut ist es mehr als legitim. Williams ist ein Unikat, will man ihn dennoch charakterisieren, dann vielleicht am ehesten als schwarzgalligen Zwillingsbruder von Daniel Johnston, als idealen Star sämtlicher Houellebecq-Verfilmungen, als liebenswürdig-verbiesterten Anti-Crooner, der einem selbstverliebten Weiterlesen

AIN SOPH: Ars Regia (LP Re-Release + Buch)

Es ist nicht leicht, etwas Allgemeines über Ain Soph zu sagen. Die Interessen und Ausdrucksweisen der römischen Band haben sich in den knapp drei Jahrzehnten seit ihrer Gründung zum Teil extrem gewandelt. Das gleiche lässt sich über die Stimmung ihrer Musik sagen, ähnliches über die Haltung des von einigen Umbesetzungen geprägten Kollektivs, die immer deutlich präsent ist, auch dann, wenn sie vordergründig vage und ungreifbar bleibt. Vergleicht man bestimmte Referenzen im Bandkosmos untereinander oder mit den Interessen der einzelnen Musiker in ihren anderen Aktivitäten Weiterlesen

HOLY SONS: My Only Warm Coals

Das Wort Multiinstrumentalist wird etwas zu häufig verwendet und wirkt entsprechend prätentiös, impliziert es doch, dass jemand eine Vielzahl an Instrumenten gleichermaßen beherrscht und regelmäßig spielt. Emil Amos ist in erster Linie Drummer, ein ziemlich renommierter sogar. Seine bekannteste Band Grails wäre ohne seine Handschrift kaum denkbar, und dass er in Al Cisneros’ idiosynkratischem OM-Kosmos das schwere Erbe Chris Hakius’ anzutreten versteht, spricht ebenso sehr für ihn. Und damit sind längst nicht all seine musikalischen Allianzen aufgezählt. Sein Soloprojekt Holy Sons Weiterlesen

DUCHAMP: Nar

Zu den interessantesten Effekten statischer Geräusche, sei es Summen oder Rauschen, zählt die Illusion von Zeitlosigkeit, die sich zwangsläufig irgendwann einstellt, wenn man einem solchen Klang die angemessene Konzentration entgegenbringt und zulässt, ganz in ihm aufzugehen. Vielleicht trug dies ja, zusammen mit dem körperlichen Gefühl angenehmer Vibration, dazu bei, dass Federica alias DuChamp als Kind mit dem Summen des mütterlichen Haartrockners ein Gefühl des Geborgenseins verband. Im Infotext zu ihrem Projekt erwähnt sie diese Weiterlesen

WILLIAM BASINSKI: Nocturnes

Fast immer sind William Basinskis Arbeiten (auch) Meditationen über das Wesen der Zeit und der Vergänglichkeit, die dem Hörer aber – zumindest für die Dauer der jeweiligen Komposition – das Gefühl geben aufgehoben, der Tyrannei der Zeit entzogen und entrissen zu sein – trotz oder gerade wegen des melancholischen Charakters der Musik.  Etwas, das dem inzwischen in Los Angeles ansässigen Basinski mit „Nocturnes“ erneut gelingt. Weiterlesen

KEITH HOWDEN & MATT HOWDEN: Barley Top (Buch und CD)

Familien, die mehrere Generationen von Kreativen hervorbringen, sind keine Seltenheit. Das Schöne bei den Howdens ist, dass Vater Keith und Sohn Matt nicht nur seit Jahren im künstlerischen Dialog sind; beide beackern zudem Gebiete, die sich gut zusammenbringen lassen, sobald ein gemeinsames Thema gefunden ist. Und davon scheint es eine Menge zu geben. Keith Howden ist Autor und Maler, Matt wiederum singt, komponiert und spielt Violine. Der Vater steuerte von Beginn an Texte und Bilder zu Matts Aufnahmen bei, der wiederum vertonte Weiterlesen

THESE NEW PURITANS: Fields of Reeds

Puritanisch waren These New Puritans nie, ganz gleich, ob man darunter Stilpurismus oder unterkühlte Reduktion versteht. In der Folge ihrer zweiten Platte „Hidden“ galten die vier Engländer eine zeitlang als die Shootingstars des – ja, des was eigentlich? Dass gerade die gute alte Punk’n'Wave-Zeit wieder hochleben durfte kam ihnen gerade recht, auch wenn sie von den gängigen Stereotypen weit entfernt waren. Neoklassiche Elemente sind im Pop immer mal angesagt, nur die Art und Weise ändert sich stetig, und auch in der Hinsicht war das Quartett um die Barnett-Brüder keines Geistes Kind und passte umso besser auf die nicht festgelegte Agenda kurz vor Weiterlesen

ZAHAVA SEEWALD & MICHAËL GRÉBIL: From My Mother’s House

Würde man „From My Mother’s House“ anhand seiner vielen Komponenten beschreiben, dann liefe man Gefahr, ein völlig falsches Bild zu vermitteln. Die zahlreichen Gedichtzitate, die unterschiedlichen Vortragsweisen, Stimmlagen, Instrumente und Spielweisen, die Momente, in denen neue Abschnitte ganz abrupt beginnen – all dies könnte zu Unrecht den Eindruck chaotischer Überladenheit vermitteln. Das Gegenteil ist der Fall. Weiterlesen

HAUS ARAFNA: All I Can Give 7″

Haus Arafna haben durch Namensgebung und Themenwahl immer wieder auf die unschönen Seiten der menschlichen Natur hingewiesen, ganz so, als wollten sie zeigen, dass Blut das „sprachgewandte Säugetier“ wie ein Ariadnefaden durch den Irrgarten der Geschichte führt. Musikalisch wurde das anfangs („Sex U Mas“-EP, „Blut“) durch brachial-rabiate analoge Klänge illustriert, die aber im Laufe der Jahre immer mehr durch reduziertere, melodischere Momente ergänzt und teilweise ersetzt wurden, die von der Band selbst – in Anlehnung an SPKs „Walking On Dead Steps“ – als Angst Pop bezeichnet wurden; Weiterlesen

V.A.: Alien Wedding

Aus Alien Symbiosis wurde Alien Wedding: Arianna Degni, besser bekannt unter dem Namen XxeNa, und der allseits bekannte postindustrielle Trompeter Flavio Rivabella gaben sich nach einigen Jahren am 1. Dezember 2012 das Ja-Wort. Zur Hochzeitsfeier zählte auch eine Reihe von Auftritten. Mittschnitte davon sind seit kurzem als Download erhältlich, zu hören gibt es vier Stücke jeweils in der Länge von zirka zwanzig Minuten. Der episodische Aufbau der improvisiert wirkenden Kurzauftritte ist eines der verbindenden Elemente. Weiterlesen

Our nostalgic feelings are projected towards the future. Interview mit Cannibal Movie

Als Teile der Menscheit begannen, sich als modern und rational zu betrachten, bedurfte es einer markanten Kehrseite, welche die eigene Zivilisiertheit im Kontrast umso deutlicher hervorscheinen ließ. Furchteinflößend musste der finstere Doppelgänger sein, war es doch seine Aufgabe, die zurückgelassene Roheit umso barbarischer und jeden Rückfall undenkbar erscheinen zu lassen. Neben übernatürlichen Gestalten musste vor allem der sogenannte Wilde dafür herhalten, und der Kannibale war einer seiner krassesten Ausprägungen, weshalb er auch nie die romantische Inversion als “edel” erfahren hat. Moderne Europäer dachten beim Kannibalen meist an Völker aus den Kolonien, freilich gibt es Verzehr von Menschenfleisch auch in der eigenen Geschichte. Weiterlesen

HATI & Z’EV: Collusion

Kollaborationen verlangen nicht nur dann besonderen kreativen Einsatz, wenn Musiker aus weit außeinanderliegenden Bereichen aufeinander treffen. Gerade im Bereich rituell angehauchter Perkussion gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass sich bestimmte Rhythmen recht einfach in die unterschiedlichsten Klangbilder integrieren lassen. Will sagen: Ethnogetrommel jedweder Art passt zu den meisten Musikarten von entweder flächiger oder eben sehr freier Struktur. Z’ev und Hati sind in der Vergangenheit schon die unterschiedlichsten Verbindugen eingegangen, meist mit Weiterlesen

NOBLESSE OBLIGE: Affair of the Heart

Im Berliner Musikzirkus gibt es bekanntlich zahllose Bands, die auf der Retro-Schiene fahren, hybride Stilkombinationen wagen, mit Goth kokettieren, und wenn man ein bisschen recherchiert, erfährt man, dass die Mitglieder nebenbei Kunst und Theater machen, beim Film sind oder in der Bar nebenan auflegen. Das übliche, und es wurde so oft kommentiert, dass es fast schon wieder egal ist. Begegnet man Noblesse Oblige in dem Kontext, könnte man sie vielleicht auch in dieser langsam etwas Staub ansetzenden Bohème einordnen, doch so einfach kommt man damit nicht durch. Ich meine nicht einmal, dass sie Weiterlesen